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Der Bluff mit der Steinzeit-Romantik

Manchmal bewundere ich die bodenlose Gedankenlosigkeit, mit der sogenannte „Wissenschaftler“ ihre Theorien in die Welt setzen. Genau genommen handelt es sich dabei oft um Annahmen, die sich weder eindeutig beweisen noch sicher widerlegen lassen. Und in diesem Fall hat die These sogar Charme – „romantische Liebe gab es schon immer, sie gehört sozusagen zur Menschwerdung“. Die These selbst ist psychologisch, soziologisch und theologisch interessant. Nur leider kann sie nicht bewiesen werden. Sie ist vielmehr eine gewagte Hypothese.

Ein Redakteur lehnt sich weit zum Fenster hinaus

Eine dieser Thesen las ich in der aktuellen Wochenendausgabe der „Süddeutschen Zeitung“. Deren Autor Christian Weber war offensichtlich so begeistert von der Forschung eines gewissen Garth Fletscher (Wellington Universität, Neuseeland), dass er diese überhöhte. Jener Gart Fletscher verwendet in einem wissenschaftlichen Artikel den Ausdruck „romantic love“ im Sinne der innigen, aber auch der verklärten Liebe zwischen Frau und Mann. Im Deutschen, so sagt eine Disputation auf „Leo“ richtig, gibt es ein solches Idiom nicht. „Romantische Liebe“ ist eine Wort-für-Wort Übersetzung, die den Begriff nicht vollständig trifft. Wer mehr darüber wissen will, sollte im „Webster“ nachschlagen. Kurz: „Romantische“ Liebes-Gefühle sind im Englischen all jene Gefühle, die über eine leichte Zuneigung hinausgehen, und die noch nicht in einem Geschlechtsakt aufgegangen sind. Wobei wir feststellen können: Das hat mit der deutschen romantischen Bewegung nichts zu tun. „Sinnliches Begehren“ wäre eine Möglichkeit, den Begriff literarisch zu nutzen, etwa im Gegensatz zu „sexuellem Begehren“.

Davon weiß der Redakteur offenbar nichts, wenn er (stark hervorgehoben) schreibt:

Die romantische Liebe ist keine Erfindung, sondern eine Universalie, die es seit Urzeiten gibt.

Klar – da fehlt der Konjunktiv. Aber nicht nur das – denn in dieser Annahme, und auch in diesem Satz, stimmt gar nichts. Da wäre zunächst die „romanische Liebe“. Nicht nur die Übersetzung ist fragwürdig, sondern auch der Begriff als solcher. Denn hier wird unterstellt, dass „die romantische Liebe“ eine fest umrissene, klar definierte und messbare Größe ist. Das ist natürlich völliger Unsinn, denn die Empfindungen, um die es dabei geht, sind weder universell beschreibbar noch sind sie messbar. Zudem müsset eine „Universalie“ kulturunabhängig feststellbar sein, was schon deshalb nicht geht, weil „Romantik“ als Wortbegriff nicht immer existierte. Es wäre sicherlich gut gewesen, sich zunächst mit dem Begriff uns seiner Bedeutung zu beschäftigen, bevor man leichtfertig behauptet, „Romantik habe es seit „Urzeiten“ (ein weiteres schwammiges Wort) gegeben.

Was wollten die Forscher eigentlich untersuchen?

Zwischen Forschung und journalistischer Aufbereitung liegen oft Welten. Doch was wollten die Forscher eigentlich? Nun wieder gilt es, eine Lanze für die Forschung zu brechen, auch wenn sie missverständlich ist. Dazu müssen wir einen kurzen Blick auf die Evolution werfen: Dort sind in der Regel alle Lebewesen erfolgreich, die sich anpassen und dabei ökonomisch sinnvoll handeln. Der Homo sapiens hätte also einen Vorteil davon haben müssen, wenn er feste Paare bildet, die über eine möglichst lange Zeit zusammenbleiben. Das hat zunächst nichts mit „Liebe“, „Romantik“ oder ähnlichen recht flüchtigen Themen zu tun. Vielmehr geht es darum, ob eine soziale Gemeinschaft der Menschen dann erfolgreicher ist, wenn sich einzelne Paare bilden, die über lange Zeit zusammenbleiben – also etwas schrecklich „Unromantisches“. Dabei ist völlig offen, was zuerst da war: eine ökonomisch sinnreiche Paarbildung oder eine evolutionäre Entwicklung des Gehirns in Richtung „lang andauernde Verliebtheit“.

Verliebtheit und neolithische Revolution

Nunn haben wir beinahe beschrieben, worauf die Forscher hinauswollten. Verliebtheit spielt bei der menschlichen Partnerwahl eine ungewöhnlich starke Rolle, weil sie lange anhält – je nach Betrachtungsweise zwischen drei und fünf Jahren. Für einen Forscher ist nun interessant zu wissen, wann und wie diese Entwicklung einsetzte und aus welchen Gründen die Paare erfolgreicher waren, die fest zusammenlebten. Dabei ist allerdings zu befürchten, dass dieser Prozess der Menschheitsgeschichte immer im Dunkeln bleibt. Denn wenn wir heute schon nichts Genaues über die Liebe wissen (es gibt rund hundert unterschiedliche Theorien darüber), wie sollen wir dann etwas über die Liebe in der Jungsteinzeit wissen? Da bleiben nur Ahnungen, Spekulationen, Behauptungen und Vermutungen – Fakten über das Gefühlsleben des Jungsteinzeitmenschen fehlen, und sie sind für immer verloren. Als mutmaßlicher Zeitpunkt dieses Wandels eignet sich Am besten die neolithische Revolution. Menschen, die sesshaft werden, entwickeln eine andere, kompliziertere Ökonomie als Nomaden. Dabei ist anzunehmen, dass das Sein in diesem Fall das Bewusstsein prägte: Wenn es erfolgreicher ist, sesshaft zu sein und in Paaren zu leben, dann wachsen die Gefühle nach.

Romantik kontra Ökonomie – was zählt mehr?

Was die Romantik-Fantasten, ob nun journalistisch oder wissenschaftlich, nicht bedacht haben: Die ökonomischen Prinzipien siegten jahrhundertelang, ja, vielleicht gar Jahrtausende lang haushoch über die sinnlichen Wünsche. Von der Bibel (Jakob und Lea) bis zur „Konvenienzehe“ wurden Frauen an Männer verhökert, wenn alles wirtschaftlich passte. Von „romantischen Gefühlen“ war erst gar nicht die Rede. Man erwartete einfach, dass sich die Frauen beschlafen ließen, gleich, ob sie den zugewiesenen oder eingekauften Ehemann nun liebten oder auch nicht.

Monogam sein hieß nicht: mit nur einer Frau Sex haben

Eine Monogamie bedeutet übrigens biblisch gesehen nicht, dass der Mann sich sexuell ausschließlich der Ehefrau widmete. Dem Patriarchen war gestattet, mit Mägden und Sklavinnen nach Belieben Geschlechtsverkehr zu haben. Die gebote Gottes („Zehn Gebote“) schützen nur die Ehefrau und das Gesinde des „Nächsten“, also des Nachbarn und Glaubensbruders.

Fazit: Überwiegend ein geschickter Bluff

Was bleibt also von der „romantischen Liebe“, die es „schon immer“ gab? Sie ist eine reine Behauptung, die sich niemals beweisen lässt, weil wir nicht wissen können, wie die Menschen der Jungsteinzeit oder gar zuvor „gefühlt“ haben. Insofern ist nicht nur die journalistische Aufbereitung der „ewigen romantischen Liebe“ fragwürdig – auch die Forscher selbst bewegen sich auf dünnem Eis.

Quellen:

Pair Bonding, Romantic Love and Evolution (Papier der Forscher)
Süddeutsche Zeitung vom 9. Mai (Wissen), Printausgabe. Titel „Nicht nur Du“
Webster

Hinweis: Dieser Artikel erscheint, ganz oder in Auszügen, abgewandelt oder im Original, ebenfalls in der Liebeszeitung, dem Datingratgeber und meinem persönlichen Schriftsteller-Magazin.

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