Alles werden, was man will: Billie Holiday würde heute 100
Man kann alles richtig machen, indem man die besten Voraussetzungen hat, gut ausgebildet ist und immer dem gerade aktuellen Trend folgt. Das ist es, was wir unseren jungen Leuten sagen.Doch viele namhafte Innovationen im Bereich der Kunst kamen von Menschen, auf die das nicht zutraf: schlechte Voraussetzungen, nahezu ohne Ausbildung und völlig am Trend vorbei.
Eine dieser Menschen war die Musikerin Billie Holiday. Sie einfach als „Sängerin“ zu bezeichnen, wäre völlig falsch: Ihre Stimme klang eher wie ein Instrument, einem Saxofon nicht unähnlich. Sie war die Stimme, die dem Jazzgesang ihren eigentlichen Charakter gab, einmalig, unerreicht und voller Passion.
Sicher – Ella Fitzgerald war facettenreicher und unterhaltsamer – und wirtschaftlich sicherlich erfolgreicher. Und es gab andere, die immer wieder im gleichen Atemzug erwähnt werden: die Bluessängerin Bessie Smith, die Allrounderin Sarah Vaughn – und die vielen Unbekannten, die brav ihre Standards absangen. Den Unterschied zwischen Billie Holiday und vielen anderen Sängerinnen von damals und heute erkennt man an dreierlei. Am Klang der Stimme, die dem Saxofon ähnlich ist, an der eigenwilligen Improvisation und vor allem an der Inbrunst, mit der Billie Holiday Ihre Lieder sang. Ob sie von der Liebe sang, wie in „Lover Man“ oder „The Man I Love“, oder von der Lynchjustiz in den südlichen Bundesstaaten der USA, wie in „Strange Fruit“ – immer drang ihre Stimme tief in die Seele der Menschen hinein.
Heute, am 7. April, wäre Billie Holiday 100 Jahre alt geworden. Sie sang sich in die Herzen der Liebenden und der Trauernden – ohne Pathos. Mag ihr Leben nicht perfekt, nicht glücklich und nicht einmal wirtschaftlich erfolgreich gewesen sein – ihre Hinterlassenschaft ist die Stimme. Und die Bestätigung, dass man auch gegen Widerstände alles werden kann, was man will.
Bildquelle: Video von 1957