Die Liebe – gelegentlich vergessen wir ihre Bedeutung
Was immer ein gewisser Paulus von Tarsus wirklich dachte, ist nicht überliefert, doch erkennen wir an seinen Schriften, dass er ein gebildeter Mann war: Jude, Römer, eifriger Reisender mit einem unendlich großen Budget. Stifter einer neuen Religion, die sich nur äußerst grob an die Lehren des Jesus von Nazareth anlehnt – jedenfalls für kritische Theologen.
Und dennoch soll ausgerechnet dieser Mann, der ja angeblich im Endzeitdenken verhaftet war, Gutes über die Liebe beschrieben haben?
Ja, das hat er. Hübsch ist, einmal Luthers letzte handschriftliche Übersetzung, mit neueren Übersetzungen zu vergleichen.
„Die Liebe“ – auch bei Christen die Liebe eines Paares zueinander
Die Priester des Christentums verwenden das, was Paulus geschrieben haben soll, gerne bei Hochzeiten. Und sie versuchen dabei, wie ich auch, die Brücke zu schlagen zwischen der Liebe als absolute Hingabe (an wen auch immer) und an die Liebe und Leidenschaft der Hingabe an einen anderen Menschen.
Die Liebe ist demnach geduldig, frei von Neid, nimmt sich nicht wichtig kennt keine lauten Töne. Sie erträgt alles, hofft immer wieder, und sie erduldet auch Rückschläge.
Die prahlerischen Reden der Berater und Wissenschaftler über die Liebe
Warum reden unsere Ratgeber dann so laut und prahlerisch über die Liebe? Warum sagen uns Wissenschaftler, sie wären der Liebe nun auf die Schliche gekommen?
Die Antwort ist so einfach: Weil sie in Wahrheit keinen Schimmer davon haben, was Liebe für jeden Einzelnen von uns bedeutet, aber sich selbst wichtig machen wollen und zeigen, wie herrlich und großartig sie sind.
Die Wahrheit: Liebe ist unerklärlich, man kann sie nur für sich selbst erforschen
In meinen Bücherschränken befinden sich mehr Bücher über die Liebe, als über jedes andere Thema. Um es mit Cole Porter zu sagen: „Alte Liebe, neue Liebe – alles aus wahrer Liebe.“ Denn war die Wahrheit ehrt (das nehme ich für mich in Anspruch), der sollte eingestehen: Es gibt keine wirkliche Erklärung für die Liebe.
Sinngemäß heißt es in den diesem Paulus zugeschriebenen Brief an die Korinther, die Liebe würde die Zeit überdauern, während unser Wissen wohl immer Stückwerk bliebe.
Hingabe wäre eine Voraussetzung für Liebe – ist sie es?
Ich bin der festen Überzeugung: Jede Liebe eines Menschen zu einem anderen Menschen, die nicht auf Eigennutz oder Suchtverhalten zurückzuführen ist, ist wahre Liebe. Sie setzt voraus, dass wir diese Liebe ohne jeden Anspruch mit Freude und Hingabe schenken.
Ist dies wirklich so häufig der Fall, wie unsere Romantiker und Schönredner behaupten? Vertrauen, Liebe, Sinneslust und Hingabe im Vorfeld, ohne jeden Anspruch? Ich habe da meine Zweifel. Verhökern wir nicht allzu oft unsere Liebe, gerad beim Online-Dating? Sex ist, so behauptet jedenfalls der Ökonom Gérard A. Bökenkamp, „Tausch zur Maximierung des psychischen Einkommens.“ Und Liebe? Kaum etwas anderes, so sagt Bökenkamp, trage so sehr zur Erhöhung des psychischen Einkommens bei. Deswegen sei ihr Preis so hoch.
Eine Weisheit aus China: Liebe frühzeitig erproben
Ich rate jedem jungen Menschen, sich der Liebe umsichtig, aber vorbehaltlos hinzugeben, um Erfahrungen mit sich selbst zu machen. Der chinesische Wissenschaftler Emil Man Lun Ng hat dies in drei Thesen zusammengefasst (von mir vereinfacht):
– Lernen Sie die Liebe frühzeitig kennen. Entwickeln Sie Ihre Liebespersönlichkeit.
– Finden Sie – abseits von allen Traditionen und Regeln – heraus, mit wem die Liebe Ihnen Freude macht.
– Suchen Sie aktiv nach dem Menschen, mit dem sie langfristig diese Freude haben können.
Ehe ist nicht gleich Liebe. Wer einen Menschen heiraten will, braucht mehr als die Hingabe an ihn. Und dennoch ist Hingabe eine der Voraussetzungen, um ein Leben mit einem anderen Menschen zu beginnen.
Bild: Serie aus „szöveg nelkul“, Budapest 2008, Ausstellung.
Zitat Dr. Bökenkamp aus: „Ökonomie der Sexualität“, München 2015.