Wer schreibt für liebepur?

TopBlogs.de das Original - Blogverzeichnis | Blog Top Liste

Der Fluch und der Segen, Jungfrau zu sein

Internet-Foren sind voll von Diskussionen junger Leute, wann der richtige Zeitpunkt für das „erste Mal“ ist. Doch immer häufiger wird auch eine andere Frage gestellt: Wann ist es eigentlich peinlich, Jungfrau zu sein?

Die Frage kommt erstaunlicherweise nicht nur von Frauen, sonder auch von Männern.

Gründe für „sexuelle Enthaltsamkeit“ gibt es viele, und zumeist folgt die „Bewahrung der Jungfräulichkeit“ in der heutigen westlichen Welt nicht religiösen Motiven, sondern ist schlichter Zufall. Insofern ist die Frage berechtigt, ob es inzwischen peinlich ist, im Erwachsenenalter noch Jungfrau zu sein. Werfen wir dazu doch einmal einen Blick in die jüngere Geschichtsschreibung:

Das Bürgertum verlangte die Jungfräulichkeit der eheschließenden Frau

Das Bürgertum des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verlangte von der Frau, als „Jungfrau in die Ehe“ zu gehen, setzte aber beim Mann klammheimlich Erfahrung voraus. Selbst manche bürgerlichen jungen Frauen hielten sich nicht daran und schliefen kurz vor der Eheschließung noch mit einem erfahrenen Liebhaber, um nicht ganz so unerfahren in die Ehe zu gehen. Das war sehr praktisch, denn hatte die Liaison Folgen, dann konnten sie problemlos auf den Ehemann abgeschoben werden.

Wie viele Frauen gingen wirklich als „Jungfrau in die Ehe“?

Es ist nicht belegt, wie viele Frauen tatsächlich als „Jungfrau in die Ehe“ gingen, doch weisen manche Aufzeichnungen von Pfarrern aus, dass sich manche angehende Ehefrauen den „Kranz erschlichen“ hätten. Sie hatten also bereits vor der Ehe Geschlechtsverkehr mit ihrem Verlobten oder einem anderen Mann. Die Anzahl der Nicht-Jungfrauen wurde auch nicht nach ihrer physischen Jungfernschaft gemessen, sondern daran, ob sie bereits schwanger waren oder nicht – und offenbar waren es selbst in ländlichen Gemeinden höchstens zwei Drittel.

Ohne Kranz bei der Trauung: bereits schwanger

1896 hat ein Pfarrer beispielsweise in einer Landgemeinde berichtet:

Trauungen: (…): 6, darunter 4 Bräute mit Kranz (also nur zwei drittel Jungfrauen). Notorische Kranzerschleichung ist nicht vorgekommen.

Schon 1821 – kein Bock mehr auf Jungfräulichkeit

Dass „Kranzerschleichungen“ nicht mehr vorkamen, liegt aber auch an einer ganz anderen Tatsache: Die Pfarrer hatten längst die „Waffen gestreckt“, weil sich die Mitglieder der Pfarrgemeinden nicht mehr darum scherten, was der Herr Pfarrer von der Kanzel predigte, Zitat von 1821:

Der verbotene Umgang mit dem andern Geschlecht (1) ist so sehr an der Tagesordnung, daß es scheint, als fühle der größere Teil gar nicht mehr, daß es ein Laster ist. Nächtliche Besuche junger Burschen bei Mädchen, besonders in der Nacht von Samstag auf den Sonntag und vom Sonntag auf den Montag, sind etwas ganz observanzmäßiges, und beinahe ist es so weit gekommen, daß das Mädchen, welches sie nicht erhält, der Verachtung preisgegeben ist, als eine Person, deren Reize keine Abnehmer finden.

Die Beispiel zeigen, wie lächerlich die Meinung war, dass die Frauen des 19. Jahrhunderts (hier vermutlich außerhalb des Bürgertums) tatsächlich als „Jungfrau in die Ehe“ gingen.

Das Zitat der damaligen Zeit kann völlig problemlos auf die Jetztzeit übertragen werden: Für einen großen Teil der jungen Erwachsennen ist es tatsächlich peinlich, im frühen Erwachsenenalter noch Jungfrau zu sein. Ebenso ist es eine Tatsache, dass eine erwachsene Frau, die noch keinen Geschlechtsverkehr hatte, als „wenig attraktiv“ angesehen wird. Noch schlimmer scheint es für junge Männer zu sein: Sie werden wegen ihrer Unerfahrenheit von vielen Frauen gemieden. Eine große Anzahl von Neo-Moralisten will uns dies als „Verlust der Moral“ verkaufen – doch die Geschichte beweist, dass es die Form der Moral, die sie predigen, völlig weltfremd ist.

Wer heute dafür plädiert, dass junge Menschen „jungfräulich“ in die Ehe gehen sollen, hat offenbar nicht verstanden, dass ihm das tatsächliche Leben wie Sand zwischen den Händen entglitten ist – und das gilt auch für Pfarrer. Gerade habe ich gelesen, dass der Bischof von Chur, der offenbar zu dne Neo-Moralisten gehört, dies schrieb:

Das Sexualverhalten des Menschen wird kraft göttlicher Offenbarung durch Gebote und Weisungen geordnet. Ihr Ziel ist das Gelingen des Ehe- und Familienlebens. Sowohl das Alte wie das Neue Testament enthalten entsprechende Hinweise und Bestimmungen.

Erstaunlich, Herr Bischof, wirklich erstaunlich. Vor allem, weil diese „Hinweise“ gleichgesetzt werden mit einer „göttlichen Offenbarung“ – und das sind diese definitiv nicht – nachzulesen übrigens in der Genesis, in der die einzige authentische „göttliche Weisung“ für das Liebesleben der Menschen steht.

Jungfräulichkeit zwischen Schande und Stolz?

Mache wir uns nichts vor: Das Leben der jungen Menschen lässt sich nicht durch eine kirchliche „Weisung“ regulieren, sondern nur dadurch, dass Frauen und Männer einander wahrhaftig respektieren – sei es in Körper, Geist oder Seele. Wer es heute als Schande ansieht, „noch Jungfrau“ zu sein, sollte dies also weder wie eine Schmach vor sich hertragen noch stolz darauf sein, sondern versuchen, es behutsam und in voller Verantwortung wofür sich selbst und seinen Mitmenschen zu ändern.

Anmerkung: Die „Kranzerschleichung“ wurde aus den meisten im Internet veröffentlichten Dokumenten getilgt. 1915 sah ein Pfarrer das Vergehen bereits als minder schwer an und schrieb: „Dagegen erscheint die Braut meist mit Trauschleier und Myrtenkranz; leider oft auch dann, wenn sie kein Anrecht auf den letzteren hat, der ein Zeichen unbescholtener Jungfrauschaft sein soll und will.

(1) basierend auf dem Sechsten Gebot „Du sollst nicht Ehebrechen“ – allerdings ist de Beischlaf zwischen Unverheirateten kein Ehebruch, so dass dies Gebot nicht zutrifft.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mehr aus der Rubrik:
psychologie und lifestyle

 Ein Date mit der „Jungfrau Maria“
   (5. Dezember 2011)