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Online-Dating: Pessimismus vom Psychotherapeuten

Der WELT-Kolumnist und Psychotherapeut Robert Schurz beschäftigt sich in einem längeren Artikel mit der Partnerwahl aus kulturgeschichtlicher und philosophischer Sicht. Er versucht dabei, den Bruch zu finden zwischen der Welt der traditionellen Partnerwahl und den neuen Möglichkeiten des Internets. Viel Gefallen findet er nicht am neuen Medium: Nach seiner Meinung hat das Kennenlernen im Internet zu einer „Vorläufigkeit jeder Partnerschaft und der individualisierten und konsumorientierten Ausrichtung von Beziehungen“ geführt, was zu beweisen wäre – nur geschieht dies nicht. Doch der Psychotherapeut findet einen Weg, die Schlechtigkeit des Mediums zu beweisen (Zitat):

(Es ist …) „das Ausmaß das Leidens, den er hervorbringt. Und da zeigen die Statistiken der Psychotherapeuten, dass der Leidensdruck rund um die Partnersuche gewaltig zunimmt.

Herr Schurz entwirft er zu Anfang seines Artikels ein Idealbild der Partnerschaften aus dem Götterhimmel, beleuchtet dann die reale Partnerwahl der geschriebenen Menschheitsgeschichte bis zum Bürgertum und kommt schließlich in der Zeit vor etwa 20 Jahren ankommt, die er wohl als die „gute alte Zeit“ der Partnersuche ansieht. Dann allerdings traf das Internet die Menschheit offenbar wie ein Donnerschlag und veränderte alles – so jedenfalls der Tenor des Artikels.

Ist es wirklich so? Gabe es nicht schon zuvor erhebliche Probleme mit der von Herrn Schurz unterstellten „Balance von Zufall und systematischer Suche“? Gab es etwa keine Eheanbahnungsinstitute mit gigantischen Umsätzen? Keine „Brigitte-Partneraktionen“? Keine Kotakt-, Bekanntschafts- und Heiratsanzeigen? Die Beispiele zeigen doch, dass die angebliche „Balance“ bereits seit einem halben Jahrhundert aus den Fugen geraten war. Auch die beklagte „Vorläufigkeit der Beziehungen“, die „Individualisierung“ und die „konsumorientierte Ausrichtung der Beziehungen“ sind doch keine wirklichen Neuigkeiten, die durch das Internet bewirkt wurden.

Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff „Markt“: Schurz hält offenbar für falsch, das Wort zu verwenden und schreibt:

Der elektronische Partnerschaftsmarkt bewirkt aber nicht nur, dass man dem anderen als Konsument begegnet: Umgekehrt begreift man sich selber als Ware. „Ich werfe mich wieder auf den Markt“ ist eine typische Redewendung für den frisch getrennten Single geworden“.

Das mag alles sein, aber der „Heiratsmarkt“ wurde ebenfalls nicht vom Internet erfunden: Er ist der gedachte Ort, an dem sich Angebot und Nachfrage treffen. Das ist weder neu, noch ist es merkwürdig: Fast alle Menschen buhlen um ihren Wert am Partnermarkt, sei es in „Profilen“ im Internet oder in „Profilen“ des Körpers: Man zeigt am Partnermarkt, wer man ist und was man hat. Das alles ist nun wirklich nicht neu.

Im realen Leben geht es schrecklich real zu

Das Problem am WELT-Artikel von Robert Schurz besteht vor allem darin, nicht nahe genug an der Realität, am Alltag, ja überhaupt am wirklichen Verhalten tatsächlicher Partnersuchender zu sein, was in folgendem Satz beweisbar wäre:

Mit dem weltweiten Netz wird in der Partnerfindung die alte Balance von Zufall und systematischer Suche, von Schicksal und Zweck aufgehoben. Die Metaphysik des wahren Partners, das Ideal der optimalen Wahl wird auf eine reale Ebene gebracht.

Fragt sich, ob es diese „Metaphysik des wahren Partners“ gibt oder ob sie nur herbeigeredet wird. Unzweifelhaft ist hingegen, dass uns Menschen gar nichts anderes übrigbleibt, als unsere Partnerwünsche auf die „reale Ebene“ zu bringen. Wo sonst sollten wir sie leben?

Im Artikel der WELT stecken viele wahre Details, so etwa die realitätsferne Anspruchshaltung heutiger Singles, die ohne Zweifel durch das Internet noch angetrieben wird. Doch diese guten Gedanken werden dadurch abgewertet, dass der Autor „die Rechenmaschine“ und „das Netz“ als kulturell fehlerhaft operierende Partnervermittlungsbeschleuniger dingfest machen will.

Keine Perspektive mehr für niemanden?

Was völlig fehlt, ist eine positive und pragmatische Perspektive: Die alten Zeiten mit ihrer angeblichen Balance von „Schicksal und Zweck“ sind endgültig vorbei, wohingegen die neue, gezielte und systematische Suche offenbar nicht viel taugt. Nur bitte – Menschen suchen doch offenbar nach wie vor Partner, nicht wahr? Da hätte man nach so vielen monströsen Worten schon gerne gewusst, wie denn die „perspektive Zukunft“ aus Psychologensicht aussehen sollte, aber davon erfuhren wir leider nichts. Satt dessen wird uns pessimistisch beschieden, wie unwahrscheinlich es ist, dass es jemals einen „neuen Menschen“ geben wird, „der individualisierten und konsumorientierten Ausrichtung von Beziehungen zurechtkommt“.

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