Erotische Kultur – ein Abgesang
Wer Blogs besucht – sinnliche, erotische und solche über die Liebe – wird bald feststellen, dass es kaum noch erotische Kultur gibt. Das „Feigenblatt“, eine der letzten Bastionen der erotischen Kultur in Deutschland, hat es auf einen Nenner gebracht. Die Nische zwischen der bürgerlichen Fassadengesellschaft, die sich längst wieder ihre Wohlanständigkeitskorsetts angezogen hat und der Glitzerwelt falscher Versprechungen in der Pornografie hat die sinnlich-erotische Welt weitgehend verdrängt. Oder, mit den Worten des Feigenblatts:
Heute habe ich den Eindruck, dass erotische Kultur noch mehr in eine enge Nische gedrängt wurde, die zwischen Lustfeindlichkeit und Porno-Parallelwelt kaum noch zu finden ist.
Das Feigenblatt wird – nach Eigenangaben – eingestellt. Bemerkenswert ist, was die Redaktion noch sehr persönlich zum Abschied ergänzte: „Warum tue ich mir das an?“
Ja, und dies ist eine Frage, die auch ich mir stelle. Warum versuche ich, Ihnen täglich die Wahrheit zu sagen, wenn die Presse uns ein Zerrbild der Wirklichkeit vorhält? Ein Bild, das sie aus der Eigenwerbung von Psychologen, Soziologen, Lebensberatern, Online-Dating-Spindoctors, Extrem-Feministinnen und selbstherrlichen Bauchautoren zusammengekocht hat?
Liebe ist mehr als die „bürgerliche Ehe“
Wer heute nach Liebe sucht, sucht nach mehr als einer „stabilen bürgerlichen Ehe“. Er (oder sie) will das eigene Glück mehren, aber auch die eigene Geilheit mit jemandem teilen. Das ist kein Argument gegen Ehe und Familie. Es ist ein Argument gegen die immer noch verbreitete Behauptung, psychologische Faktoren müssten (und könnten!) gegeneinander abgewogen werden, damit die Beziehung glücklich wird. Doch die Voraussetzung für das Glück ist vor allem der Wunsch – glücklich zu werden und ein bisschen zu ahnen, wie man das bewerkstelligen will.
Ich möchte, dass Sie glücklich werden – und das sollte auch Ihnen reichen
Warum tue ich mir das alles an? Weil ich möchte, dass Sie glücklich werden. Übrigens ist das mein Hauptanliegen seit nun mehr fast 10 Jahren Liebe Pur. Und ich wünsche Ihnen, dass sie einen Partner finden, der Ihr Leben bereichert. Das reicht völlig. Und die süße Kleistermasse, die Ihnen die Psychologen darüber andienen wollen, entsorgen Sie am besten mit dem Hausmüll.
Wenn die erotische Kultur nicht mehr erotisch sein darf, um Kultur zu sein
Ein Wort noch zur erotischen Kultur: Als junge, feurige Dichter ihre Liebchen noch wegen ihrer körperlichen Vorzüge, von den sinnlichen Apfelbrüsten bis zu den verführerischen Schleimzonen besangen, da gab es erotische Kultur. Doch als Neusprech und Neo-Anstand, bürgerliche Fassadenkultur und feministische Prüderie (teils erneut) Einzug hielten, da war sie weg. Wobei nicht ganz unerheblich war, dass wir die Definition unseres erotischen Seins inzwischen ganz und gar den Psychologen überlassen haben. Dieser Unfall der Kulturgeschichte ist nun einmal passiert, wobei es eigentlich kein Unfall, sondern ein brutaler Überfall auf die Macht der Selbst-Definition war, den wir als Humanisten und Liberale nicht zurückdrängen konnten.
Wenn wir uns diese Macht zurückholen wollen, müssen wir wissen und ausdrücken können, was Liebe ist, was Sinnlichkeit ist, was Erotik ist und woran wir wirklich Lust haben.
Dieser Artikel fällt unter unsere Ex-Rubrik „Tacheles“ – Dinge, dich ich nicht jedem sage, weil sie manchmal missverstanden werden. Aber sehen Sie – das leiste ich mir einfach. Und Sie dürfen gerne widersprechen.
Bild:Buchillustration aus einem erotischen Werk des 19. (1907?) Jahrhunderts.