Wer schreibt für liebepur?

TopBlogs.de das Original - Blogverzeichnis | Blog Top Liste

Polyamorie – wie die Wort-Trickser ihr Imperium schufen

Der Urvater der Wortlüge: Humpty Dumpty

Der Urvater der Wortlüge: Humpty Dumpty


Immer, wenn ich etwas über Polyamorie lesen, fühle ich mich an Humpty Dumpty erinnert. Nicht an all die Pferde und Männer des Königs, die Humpty nicht zurück auf die Mauer hieven konnten. Nein, an den Humpty Dumpty, den der Mathematiker und begnadete Logiker Charles Lutwidge Dodgson sagen ließ (siehe Hinweis):

«When I use a word,‘ Humpty Dumpty said, in rather a scornful tone, ‚it means just what I choose it to mean — neither more nor less.’»

Die Humpty-Dumpty-Arroganz war bisher nur aus der Wissenschaft bekannt. Der unsägliche Psychiater Krafft-Ebing kreierte im Lichte dieser Arroganz den Begriff „Masochismus“, der seither als Etikett für alles verwendet wird, was man besser als „unterwürfige Liebe“ bezeichnen sollte. Die größte Frechheit leistete sich freilich die Soziologie: Sie vereinnahmte den Begriff „Liebe“ für sich, sodass sich im Jahre 2009 der deutsche Soziloge Sven Hillenkamp anmaßte, vom „Ende der Liebe“ zu sprechen. Die verbildeten Redakteure der bürgerlichen Feuilletons lobten das Buch übrigens über den grünen Klee. Offenbar tolerierten sie die Begriffsverwirrung.

Der modernen Humpty Dumpty nutzt Wikipedia

Die Anhänger der Polyamorie gingen einen weitaus moderneren Weg: Da es inzwischen ein Internet gab und mit ihm ein Jedermann-Lexikon Wikipedia, war es leicht, dort einen neuen Begriff einzuführen. Das ging zu dieser Zeit bei Wikipedia freilich nicht mehr, ohne genügend Beweise für die Existenz und Nachhaltigkeit des Begriffs zu schaffen. Doch das erweist sich in einer Online-Welt einfacher, als man denkt: Irgendjemand wird ja wohl schon über alternative Beziehungsformen geforscht haben, nicht wahr? In der Tat zeigt Wikipedia heute acht Arbeiten, die man mit etwas Mühe als „wissenschaftlich“ durchgehen, und die erstaunlicherweise alle recht neu sind. Dabei kommt einem unwillkürlich der Begriff „eine Hand wäscht die andere“ in den Sinn. Auch die übrigen „Belege“ stammen nahezu alle aus den gleichen Schusterwerkstätten – doch das stört Wikipedia offenbar nicht im Geringsten.

Die Frage, was Polyamorie eigentlich ist, kann ohnehin nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden, weil schon im Etikett gemogelt wurde. Der Begriff bedeutet, mehrere Personen zugleich, aber nicht gleichzeitig, zu lieben – sagen die Lexika. Und verferkeln dabei den ohnehin reichlich strapazierten Begriff „Liebe“ einmal mehr.

Auch die Liebe zum Teddybären ist eine Form der Liebe

Wir müssen an die Wurzel des Begriffs Liebe zurück, um die Ungeheuerlichkeit solcher Behauptungen bloßzulegen. Denn „Liebe“ steht für alle Beziehungsformen, die auf einer innigen Verbindung zwischen zwei Personen beruhen, wobei wir noch nicht einmal die Liebe zu Phänomenen (Gott?) oder Kuscheltieren (der zerliebte Teddy) eingeschlossen haben. Das Problem bei der Definition von Liebe ist dabei jedoch nicht nur allgemeiner, sondern auch individueller Natur. Wenn der Hans die Grete liebt, und die Grete den Hans, heißt dies noch lange nicht, dass die genseitige Liebe für beide das Gleiche bedeutet. Der Psychiater Ronald D. Laing hat darüber eindrucksvoll berichtet, aber man muss nicht Laing lesen, um dies zu wissen, sondern nur darüber nachdenken, warum man seinen Teddy, seine Mutter oder ein Haustier „liebt“.

Wir können bereits festhalten: Die Liebe zu mehreren Menschen ist weder etwas Ehrenrühriges, noch hat sie notwendigerweise mit sexueller Leidenschaft zu tun – und schon gar nicht mit „Polyamorie“. Lieben kann man so viele Menschen und Objekte, wie man will und mag.

„Liebe des Herzens“, Erotik oder Sexualität – was denn nun?

Der zweite wesentliche Trick der Polyamorie besteht deshalb darin, den überaus unscharfen Begriff „Liebe“ in „die Liebe des Herzens“ und „die Sexualität“ aufzufieseln, was sich später ebenfalls als Trick erweist (Zitat):

Polyamorie bedeutet, mehrere Menschen zur selben Zeit zu lieben, mit dem Herzen, aber auch sexuell.

Interessant ist in diesem Satz das Wort „aber“. Warum sagten die Autoren nicht einfach: „und“, wenn sie in Wahrheit die erotische Liebe meinen? Denn in der Definition heißt es später (anderer Ort, gleiche Webseite, Zitat):

Kurz könnte man sagen, dass Polyamorie bedeutet, mehr als eine Person zur selben Zeit erotisch zu lieben.

Ja bitte, und das war alles? Nein, da folgt noch etwas:

Die Praxis, der Zustand oder die Fähigkeit, mehr als eine liebevolle sexuelle Beziehung zur gleichen Zeit zu führen, mit vollem Wissen und Einverständnis der beteiligten Partner.

Nun ist aus der erotischen Begegnung, die ja noch nicht notwendigerweise eine Bindung beinhaltet, eine „liebevolle sexuelle Beziehung“ zu mehreren Partner geworden, mit der einzigen Ausnahme zu anderen „liebevollen sexuellen Mehrfachbeziehungen“, dass alle voneinander wissen und damit „einverstanden“ sind.

Reizwort „einverstanden“ – Doktrin oder Vereinbarung?

Selbstverständlich gibt es solche Einverständnisse – und diese sind wahrlich nicht exklusiv für die Polyamorie-Kreise reserviert. Ein wirkliches „Einverständnis“ liegt ja nur vor, wenn die Beteiligten ausdrücklich in etwas einwilligen, was sie individuell, frei und gleich vereinbart haben. Polyamorie als „Bewegung“ allerdings erhebt dieses „Einverständnis“ zur Ideologie, ähnlich wie es spirituelle und religiöse Sekten tun. Was davon zu halten ist, mag jeder für sich selbst entscheiden.

Zum Nachlesen: Wikipedia (übertrieben positiv) und Konkret (kritisch-analytisch).

Hinweis: „Wenn ich ein Wort verwende“, erwiderte Humpty Dumpty ziemlich geringschätzig, „dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes.“
Foto:Aus einem Alice-Schachspiel, © 2015 by liebesverlag.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mehr aus der Rubrik:
die liebe pur

 Wie gefährlich ist Tinder?
   (28. Januar 2015)
 Sex und Statistik
   (28. Januar 2015)
 Die Woche: tote Hose für die Liebe?
   (23. Januar 2015)