Gedanken über das Gute und das Böse in der Lust
Eines der Dinge, die unsre „guten Bürger“ beim Sex ständig übersehen, ist die Vielfalt des Guten – das andere ist die Vielfalt des Bösen.
Helene Aecherli schrieb in ihrer Kolumne für Annabelle:
… Sexualität, so, wie ich sie verstehe, ist ein unendliches Feld, das bestückt ist mit unendlich vielen Facetten. Viele davon sind aufregend, prickelnd, hocherotisch, geil und orgiastisch; andere zum Schmunzeln, Ärgern, Toben, Kaputtlachen; wiederum andere sind finster, düster und unendlich grausam.
Erstaunlicherweise schreiben unser Medien sehr, sehr selten über den erotischen Genuss oder die sexuelle Wollust. Ich nehme an, das liegt daran, dass man die „braven Bürger“ (oder die „lieben Abonnenten?“) nicht verprellen will. Es wäre ja schlimm, wenn Menschen Genuss an etwas haben könnten, was andere als Frevel ansehen. Die Vielfalt des Guten? Da fragen sich die Spießbürger doch sofort: „Ja, ist es denn gut?“, oder“ kann so etwas jemals gut sein?“
Andererseits erfahren wir auch vom Bösen wenig: nur dann, wenn es zufällig gerade sensationell sein sollte: Eine Steinigung als Folge eines Ehebruchs? Ein Prozess wegen einer Gruppenvergewaltigung? Lenkt das nicht ab von dem täglichen Unrecht? Von der weltweit immer noch üblichen Verweigerung elementarer sexueller Menschenrechte?
Wenn „das Böse“ gebrandmarkt wird, dann spielen Kirchgänger und Puffgänger durchaus zusammen: Die Hure ist der Kristallisationspunkt, von dem das Böse ausgeht, gleich, ob sie Unternehmerin oder Opfer des Menschenhandels ist. Von ihr ausgehend, werden auch die Männer diffamiert, die sie besuchen: „Schwanz nicht unter Kontrolle, nicht wahr?“ Oder, wie ich einstmals in Schweden hörte: „Wie kommt es, dass Männer ihren Penis überhaupt noch in ‚so etwas‘ hineinstecken?“
Ach, wie gut und edel die Menschen doch in Deutschland oder Frankreich oder Schweden oder auch England sind. Und wie gut, dass man sich immer noch über Menschen empören kann, die „nicht so sind wie wir“. Wissen Sie, warum ich die falschen Moralisten hassen könnte (wenn ich könnte, aber sie sind viel zu erbärmlich, um sie zu hassen)? Weil sie eigene Gelüste und Wünsche verdrängen, um andere anzugreifen, die sich solchen Lüsten hingeben.
Und zum Schluss: Das meiste, was wir heute über Romantik, Sinnlichkeit, Liebe, Erotik und Sex lesen, ist völlig belanglos, weil es am Schreibtisch aus dem Finger gesaugt wurde. Insofern hoffe ich, dass Helene Aecherli demnächst wieder heftig und engagiert über die Lust schreibt. Das kann sie nämlich wirklich gut.
Bild: Werbeplakat (Ausschnitt) für“ Metti lo diavolo tuo ne lo mio inferno“ (1972), Ausschnitt