Gegensätze ziehen sich an – doch Blödsinn?
Eine gute Ökonomie erkennt man daran, beim Einsatz möglichst geringer Ressourcen einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Das ist in jeder guten Partnerschaft theoretisch auch möglich – nur streiten sich „die Gelehrten“ darüber, wie das am besten funktionieren könnte. Typisch ist die Auseinandersetzung von den „roten“ Glaubensbrüdern, die daran festhalten, „Gleich und Gleich“ sei das Prinzip, das Wohlstand, Glück, Lebenserfolg und Kinder produziert, während die „blaue“ Fraktion an das Gegenteil glaubt. Viel mehr als den Glauben haben beide nicht zu bieten, doch meint der Ökonom Hanno Beck:
Wenn zwei Menschen sehr ähnliche Dinge fühlen, denken und mögen, werden viel weniger Kompromisse nötig, denn die Interessenkonflikte sind nicht so groß wie bei gegensätzlichen Partnern.
Sie werden sicher bemerken, dass dieser Satz einen Pferdefuß enthält: Er geht davon aus, dass Interessenkonflikte in Beziehungen generell kontraproduktiv sind – und in der Tat hat die Gleichheitsformel nur einen Vorteil: Sie erzeugt schnell und sicher eine angenehme Intimität.
Ist es nun aber erstrebenswert? Für Professor Beck ist die Sache klar, weil er eine einfache Formel benutzt:
Die Gegensätze machen die Partnerschaft produktiver, Gleich und Gleich harmonischer – was ist aber für eine Beziehung entscheidend?
Bevor Sie sich für „harmonischer“ entscheiden (was dem Professor mit einer etwas flapsigen Begründung zweifellos gelingt): Versuchen Sie, ihr Gehirn zu strapazieren.
Wenn Sie unter 35 sind:
Glauben Sie, dass Sie auf Dauer mit ihrem Partner dieselbe Harmonie haben, die sie als junge Menschen hatten? Oder noch besser: Streben Sie dieselbe Form von Harmonie an? Bevor Sie jetzt antworten: Haben sie vor, sich nie wieder weiterzuentwickeln? Wenn Sie jetzt mit „Ja, ich will mich nicht mehr entwickeln!“ antworten, dann viel Glück mit „Gleich und Gleich“.Sollten Sie über 35, möglicherweise gar schon in meinem Alter sein, dann brauche ich Ihnen dies alles nicht zu zu erklären, denke ich. Sollte Ihre Ehe bis heute Bestand gehabt haben, dann haben Sie mit ihrem Ehepartner Konflikte durchlebt, sind Kompromisse eingegangen und haben um Problemlösungen gekämpft.
Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig. Sollten Sie ein Stammleser der Liebe Pur sein, dann wissen Sie vermutlich, dass es eine Meta-Sicht auf die „roten Kuschler“ und die „blauen Entwickler“ gibt, nämlich die „gelbe Vernunft“, um mal im Bild zu bleiben. Welche Sicht bietet sich also außer „Gleich und Gleich“ oder „Gegensätze ziehen sich an“ noch für Paare an?
Weder Gleich und Gleich – noch Gegensätze
Diese Theorie ist ebenfalls alt und beruht einerseits auf den Gesetzen der Kybernetik, andererseits auf den Erkenntnissen des berühmten Arztes und Paartherapeuten Jürg Willi. Er geht davon aus, dass bei allen Paaren ein Anpassungsprozess nötig ist, weil sie erst durch Interaktion feststellen können, welche Anteile der Persönlichkeit sich ergänzen werden und welche miteinander in einem dauerhaften Konflikt stehen. Dies wird allerdings immer nur begreifen, wer ein abendländisches Dogma aufgibt: dass die Persönlichkeit mit 25 oder 30 FESTSTEHT, sich also auf gar keinen Fall mehr entwickelt.
Wenn sich die Persönlichkeit nicht entwickeln darf, haben die „Kuschler“ recht
Nehmen wir für den Moment einmal an, die Persönlichkeit würde sich tatsächlich nicht mehr entwickeln, so würden wir wirklich gut daran tun, einen „idealen“ Partner zu finden, denn es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich jemals jemand von einem idealen Partner scheiden lassen würde. Wir wissen aber, dass dies nicht so ist. In vielen Ehen, die geschieden werden, herrschte stets „Friede, Freude, Eierkuchen“ und keinerlei Spannung. Auch hatten diese Paare vergessen, dass es Möglichkeiten gibt, mit Konflikten umzugehen oder gar Konflikte auszutragen.
Na. Herr Professor?
Auf Dauer müssen Paare Konflikte ertragen können
Halten wir dem Professor Hanno Beck mal zugute, dass er das Beste für uns alle wollte. Aber wir wissen ja, dass die Kräfte, die das Beste wollen, nicht immer das Gute schaffen. Denn aus seiner Sicht hat der Professor durchaus recht: Die Vorteile der Ehe besteht möglicherweise darin, Intimität, Harmonie und Liebe zu gewinnen. Aber dabei bleibt es eben nicht, wenn beide nach einigen Jahren nicht mehr fähig sind, Konflikte zu ertragen, Kompromisse einzugehen und Problemlösungskonzepte zu entwickeln.
Bild: Liebesgetändel, (Ausschnitt) kolorierter Holzschnitt, Hans Sebald Beham (1500–1550).
Literatur: „Liebe“, Köln 2013, Die Zweierbeziehung, Reinbeck 1975