Zurück und doch noch nicht angekommen?
Die Ruhe hat mich noch fest im Griff, und die unendliche Weite einer Landschaft, die schon an sich faszinierend ist: Fjorde, Gletscher, weiträumig sichtbare Wetterphänomene.
Ja, und dann liegen da die Projekte auf Eis: der neue Ratgeber, der viel mit dem Suchen und Finden von Partnern zu tun haben wird, aber weitaus weniger mit Online-Dating als bisher. Die Pläne reichen von Kurzgeschichten über „Gramses gesammelten unzüchtigen Handlungen“.
Zudem ändert sich etwas: Kein Mensch interessiert sich mehr dafür, ob man das erste Date in einem Café oder im Zoo absolviert, sondern wie man sich fühlt, wenn man mit 40 plötzlich wieder „das erste Mal nackt vor dem neuen Partner“ steht. Frauen schämen sich nach wie vor, nackt zu sein, frivol zu sein, sich in ungewohnter Weise penetrieren zu lassen oder an Rollenspielen zu partizipieren. Männer übrigens auch. Alles zurück auf etepetete? Manchmal habe ich den Eindruck. Freizügigkeit besteht heute für Frau und Mann offenbar darin, aus einer festen, verlässlichen Beziehung hin und wieder fremd zu vögeln – das taten die Bürgerinnen und Bürger im 19. Jahrhundert auch bereits, wenn sie sich´s leisten konnten. Wer ledig, getrennt oder geschieden ist, muss hingegen alles ständig neu einsammeln – Liebe, Geborgenheit und eben auch die Wollust. Alles fällt auf null zurück, und die ganze Freizügigkeit des modernen Menschen nützt nichts, wenn sich Frau oder Mann sexuell „zur Seite gestellt“ vorkommen.
Ich muss also die Themen anpassen – hier in der Liebepur. Ein Leben mit 40 oder gar 50 als Neustart in eine sinnliche Beziehungswelt gab es vor 100 Jahren nicht, und vor 50 Jahren kaum. Also gab und gibt es dafür auch keinen „guten Rat“.
Dennoch – und vor allem: Partnersuche und Partnerwahl sind ein Stück der menschlichen Kultur, das wir nicht der Psychologie, der Soziologie und der Religion überlassen dürfen. Wir vergessen allzu oft, dass wir es selber sind, die das Leben gestalten sollen und müssen. Wenn andere dann wägen, messen und vermuten, dann untersuchen sie nur das, was wir bereits getan haben. Sie schleichen also der Entwicklung hinterher, mal um Jahre, mal um Jahrzehnte.
Es ist recht lustig, wie sehr die Menschen wissen wollen, wann junge Menschen den ersten Geschlechtsverkehr hatten, in welchem Alter welcher Prozentsatz der Mädchen lesbische Beziehungen hatte und wie viele Studentinnen sich ihr Studium durch Prostitution verdienen. In Wahrheit ist all dies nichts als Statistik – meist eine, die einer genauen Überprüfung nicht standhalten würde. In Wahrheit lernen junge Menschen die Liebe, die Lust und die Leidenschaft kennen und haben nicht „ihr erstes Mal“. Junge Mädchen, aber auch erwachsene Frauen haben mal mehr, mal weniger Neigung, mit ihren Geschlechtsgenossinnen das Bett zu teilen – und sie fühlen dabei alle unterschiedlich. Da hat nichts mit „lesbischen Beziehungen“ zu tun – es ist einfach ein Ausdruck der besonderen Lust, die vom eigenen Geschlecht ausgeht. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Wer Menschen zu statistischen Zahlen versimpelt, erfährt nicht mehr, sondern weniger über das, was sie wirklich bewegt.
Demnächst wird sich das Bildungsbürger-Publikum wieder einmal fremdschämen dürfen – wenn die Feuchtgebiete überall ins Kino eindringen. Es wird sich empören, die wiesen Häupter schütteln und möglicherweise danach gieren, mal wieder „richtigen, schmutzigen Sex“ zu haben.
Ach, die Liebe? Ja, darüber wollen sie etwas hören? Sie ist jedenfalls anders als das, mit dem wir dauernd berieselt werden. Romantik versus Sexobjekt? Liebe kontra Wollust? Warum nicht ein romantisches Sexobjekt und eine wollüstige Liebe?
„Der Mensch an sich ist einsam und schämt sich für sein Gefühl …“ und bleibt einsam, wenn er sich schämt, sich einfach vor Lust und Wonne herzuschenken. Einsam ist, wer nichts teilt. Ob es Körper, Psyche oder Geist ist, was das geteilt wird, sollte jeder selbst entscheiden können, und auch, wann das Liebeverlangen in Liebessucht umschlägt.
Vielleicht sagen Sie jetzt: „Na, der ist noch nicht wieder angekommen, hat die Realität noch nicht im Visier, weiß nicht, wie hart das Leben sein kann, wenn man nach einem Partner sucht.“ Na schön, wenn Sie meinen. Aber überlegen Sie vielleicht auch, was Ihnen entgeht, wenn Sie sich nicht gelegentlich einfach der Liebe ergeben, statt hinter potenziellen Lebenspartnern hinterherzuhecheln.