Der Gentleman – falsche Flagge bei „gutem“ Benehmen gesetzt?
Oh, was ist denn nun richtig? Ein Gentleman … Eartha Kitt wollte wissen, dass ein alter britischer Casanova vor allem „Zeit braucht“. Das ist nicht immer ein Vorzug – aber in der Vorstellung der Deutschen ist ein „Gentleman“ eben ein Mann, der „weiß, was sich bei einer Dame gehört“. Doch was gehört sich denn bei einer Dame?
Im Frühjahr (an 18.04. dieses Jahres) bekam ich eine Pressmitteilung vom Dating Cafe, in der auf eine Umfrage Bezug genommen wurde. Darin stand in etwa, dass nahezu 60 Prozent der Frauen von einem Mann erwarten, aufmerksam und zuvorkommend zu sein.
Der Gentleman stand nun auch im Fokus von PARSHIP. In einer Umfrage votierten 79 Prozent der Frauen (und Männer) dafür, dass „Männer auch heute noch wissen sollten, wie man sich als Gentleman verhält.“
Viel Auswahl hatten die Befragten allerdings nicht – doch erstaunlicherweise sagten nur drei Prozent, es sei in Ordnung, sich als Mann oder Frau „lockerzumachen“.
Unsere Meinung über solche „Volksbefragung“ ist, mit einem Satz:
Befragungen zum „Gentleman“ in Verbindung mit „gutem Benehmen“ sind irreführend.
Locker sein kontra „Gutes Benehmen“ – was soll denn das?
Das gilt vor allem, wenn man bürgerliche „Wohlanständigkeit“ (im Pressetext als „Knigge“ bezeichnet) gegen natürliches Verhalten setzt, und das eine als „gute Manieren“ und das andere als „locker“ bezeichnet. Darf ein Mensch mit akzeptablem Verhalten (aka „gutem Benehmen“) nicht zugleich locker sein?
Wie verhält sich ein Gentleman tatsächlich?
Wie verhält sich denn nun der Gentleman wirklich? Und wie verhält sich eine Lady anno 2013? Und bitte: Was ist bürgerlicher Müll aus dem 19. Jahrhundert, was sind soziale Verhaltensregeln im 21. Jahrhundert? Und ist es angebracht, das natürliche, offene und kommunikative Verhalten durch ein Rollenklischee (Gentleman) zu ersetzen?
Mit Knigge-Regeln als „Gentleman“ zum Date?
Man kann nun natürlich argumentieren, man habe ja letztendlich das Volk befragt, und es würde schon wissen, was es selber denkt. Fragt sich allerdings, wie das Volk (insbesondere der Frauen) reagieren würde, wenn tatsächlich lauter Gentlemen mit britischem Understatement, höflichen, zurückhaltenden Fragen und Nadelstreifenanzügen zu Dates erscheinen würden.
Hinweis: In diesem Artikel wurden sinngemäß Pressemitteilungen der Online-Dating-Branche zitiert.
Zeichnung von 1891, erschienen im „Courrier Francais“