Die Macht des Unbewussten – und wie sie überschätzt wird
Seit das Unbewusste dem Sumpf der Psychoanalyse entwachsen und in das Licht der Gehirnforschung eingetreten ist, werden auch kritische Menschen davon fasziniert. Es ist gut und richtig, zu wissen, statt zu ahnen, zu forschen, statt zu vermuten. Und es ist ein Segen für die Menschheit, endlich zu wissen, dass wir unsrem Unbewussten getrost zahllose Entscheidungen überlassen können.
Gehirnforscher, Elefanten und Liebe
Und doch – die „Magie des Unbewussten“ wird schnell zur Farce, wenn wir an die Liebe denken. Forscher neigen dazu, einmal gewonnene Erkenntnisse zu verallgemeinern. Ihre Wissenschaften zwingen sie, sich strikt an Regeln zu halten, auch wenn das Thema an sich zu komplex für Regeln ist. Ich strapaziere die Parabel oft, aber ich muss es noch einmal tun: Selbst wer das Hirn des Elefanten kennt, hat keine Vorstellung davon, wie sich ein Elefant tatsächlich verhält, geschweige denn, eine Elefantenherde. Bezogen auf den Menschen ist es so, dass bei der Liebe zu viele Komponenten eine Rolle spielen, als dass man Regeln für das Verlieben aufstellen könnte.
Die Hirnforschung und die Liebe -netter Versuch ohne Ergebnis
Aus dieser Sicht fällt ein Schatten auf die Hirnforschung. Sie ist gut und richtig, präzis und ausformuliert, aber ihr steckt eben auch die Scheuklappe jeder Wissenschaft. Das Hirn enthält, da wird mir vermutlich jeder zustimmen, bestimmte unterbewusste Informationen, was Liebe sein könnte, aber nicht „die einzige“, völlig zutreffende, kompakte Information. Junge Menschen, die ihre ersten Zweisamkeiten erleben, setzen sich also das Puzzle der Liebe neu zusammen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie dabei mit dem Schema von Versuch und Irrtum arbeiten.
Der Fehler der Liebesforschung – alle Quellen sprudeln immer
Die gesamte Liebesforschung hat ja einen Fehler: Sie nimmt an, dass ständig sprudelnde Quellen der Liebe zur Verfügung stehen, was in Wahrheit die reine Illusion ist. Also muss sich der junge Mensch irgendwie durchlavieren und einen Kompromiss zwischen Wunsch und Wirklichkeit finden. Beim Wünschen und Sehnen und all den interessanten Zufällen mag ihm die „Magie des Unterbewussten“ helfen, aber in der schnöden Realität muss er letztendlich nehmen, was für ihn „abfällt“. Es ist interessant, dass kaum das Wort vom „Partnermarkt“ fällt, wenn von der Liebe gesprochen wird.
Richtige Informationen und falsche Schlüsse
Hirnforscher, die über die Liebe reden, romantisieren daher unbeabsichtigt die Liebe. Weil sie die Liebe ins Unterbewusste verlegen, schließen sie nicht nur das Bewusste aus, sondern auch die Schwierigkeiten auf dem Partnermarkt. Insofern ist die Hirnforschung für die Liebe zwar nützlich, aber nicht dominierend.
Liebe – eine ungewöhnliche Herausforderung
Die Liebe stellt für die Menschen eine Herausforderung dar. Wir haben keine Funktionen, mit denen wir sie „unterbewusst abhandeln“ können, denn sie stört unser psychisches Gleichgewicht. Alles, was stört, was unbekannt und ungewöhnlich ist, müsste eigentlich vom Verstand abgehandelt werden. Damit dies nicht sofort und unmittelbar geschieht, hat sich die Natur ja diesen wunderbaren Trick ausgedacht: Verliebtheit. Auch ohne Gehirnforschung wissen wir aus Erfahrung: Wenn das Hirn durch körpereigene Drogen auf Verliebtheit umprogrammiert wird, muss sich der Verstand erstmal mit einer Nebenrolle begnügen. Die Liebe – also die Komponenten unseres Erfahrungsschatzes, aus denen wir unser Glück in der Zweisamkeit komponieren, wird nach und nach neu aufgebaut. Wie das geschieht, wird wohl nie ganz zu erforschen sein. Jedenfalls haben wir nach einer intensiven Verliebtheit in der Regel ein neues Gefühl dafür entwickelt, was Liebe für uns ist.
Falsche Botschaften für die Öffentlichkeit
Allein das Wort „Unterbewusstsein“ löst bei vielen Menschen Sehnsüchte aus, zum Beispiel den Wunsch nach der romantischen Liebe durch schicksalhafte Fügung. Das ist die Kehrseite der Verherrlichung des Unterbewussten durch Journalisten. Was unterbewusst abläuft, gehört nach landläufiger Auffassung nicht zu unserem Verantwortungsbereich- und haben wir keine Verantwortung für die Liebe, die Partnersuche und die Partnerwahl. Wenn dies das Fazit von Wissenschaftserläuterungen durch Autoren und Journalisten sein sollte, dann erweisen sie der Menschheit einen Bärendienst. Das Gegenteil müsste der Fall sein: zu lernen, in Kenntnis des Unbewussten bewusster zu werden und das eigene Leben so gut wie möglich selbst in die Hand zu nehmen.
Bild: Fotomontage.