Die Treue – falsch verstandene Romantik?
Der erste Teil von zwei Teilen über Treue, Seitensprünge und die Zukunft von Seitensprungagenturen
Treue – die verlogene Tugend
Der selbstverständliche Seitensprung, die bewusste, ganz normale Untreue, ist fester Bestandteil der Menschheit. Sie mögen jetzt einwenden, dass dies doch wohl in erster Linie die Männer beträfe, und vielleicht auch in erster Linie die „galanten Zeiten“.
Sie irren, zumindest, was die „galanten Zeiten“ betrifft – auf die Frauen komme ich noch. Der angeblich so gestrenge Religionsstifter Moses sagt nicht einmal in den Urfesten seiner Religion, die wir die „Zehn Gebote“ nennen, etwas über die eheliche Untreue aus. Die Ethik des Sozialwesens jener Zeit beruht auf Besitzverhältnissen: „Du sollst nicht begehren deines nächsten Weib …“, was nichts anderes bedeutet als: Die Frau gehört ihm, deswegen darfst du sie nicht begehren – und seien Mägde und Sklavinnen auch nicht. Für die eigenen bediensteten gilt dieser Anspruch nicht: Über sein Eigentum darf der Mann zu Zeiten des Moses selbstverständlich verfügen, wie es ihn beliebt.
Wer Macht hat, darf auch untreu sein
So war es lange Zeit – wer die Macht hatte (und nur Männer hatten die Macht), der nahm sich Frauen, wie es beliebte: die Ehefrau zur Rechten, die übrigen Frauen zur Linken. Als die Ehen zur Linken geächtet wurden, bediente man sich an den Töchtern der Leibeigenen, und als es keine Leibeigenschaft mehr gab, zahlte man seinen Mätressen den Lebensunterhalt. Jeder, der zu Macht kam oder eine gewisse Macht ausüben konnte, versuchte es dem Adel nachzumachen: Der Bürger nahm sich das Dienstmädchen, der Unternehmer stellte eine „Privatsekretärin“ für besondere Dienste ein.
Sex mit Dienstmädchen und „Privatsekretärinnen“
Die Sache mit den Dienstmädchen und den Privatsekretärinnen spielte sich im Übrigen schon zu einer Zeit ab, als die Treue zum höchsten Gut in der Ehe in bürgerlichen Kreisen erklärt wurde.
Doch die Bürger dachten gar nicht daran, die ihnen selbst auferlegten Sanktionen einzuhalten. Sie waren Teil der Fassade, die typisch für die gesamte bürgerliche Epoche war. Selbst nach dem Zusammenbruch des Bürgertums wurde die „bürgerliche Ehe“ weiterhin zum Hort der sexuellen Treue erklärt (Zitat):
Übrig blieb das romantische Phantasma, scharf bewacht von der Eifersucht. Ohne Eifersucht gäbe es kein Anspruch auf Exklusivität, kein Treueproblem, keine am Küchentisch durchdiskutierten Nächte, keine unversöhnlichen Trennungen.
Untreu aus Leidenschaft und Geldgier
Hinter der Fassade gab es alles, nicht nur die bereits erwähnten Gänge zur Dienstmagd oder die Anstellung von Privatsekretärinnen zum reinen Lustgewinn. Tänzerinnen, Bedienungen, Modistinnen, Halbweltdamen … sie alle versuchten, einen Teil des Geldes einzuheimsen, das der männliche Bürger für seine Lust ausgeben konnte. Frauen hatten es deutlich schwerer, sie fanden aber ihre Schlupflöcher in Affären mit Künstlern und Offizieren. Wer verheiratet war, gab sich nicht immer nur aus Lust hin – manche Dame der besten Gesellschaft besserte in Deutschland auf diese Weise „das Nadelgeld auf“ – in Frankreich nannte man diesen Vorgang „ein Geschäft machen“. Aus wirtschaftlicher Not taten es die Damen nicht, sondern um sich Dinge leisten zu können, die das Nadelgeld nicht abdeckte.
Lesen Sie morgen: Frauen entdecken die Lust an der Untreue.
Bild: Der Maler Johann Liss (möglicherweise 1597 in Oldenburg geboren) schuf unter dem Namen Jan Lys das oben im Ausschnitt gezeigte Bild.
Das verwendet Zitat entnahm ich der Wochenzeitschrift DIE ZEIT.
Lesen Sie dazu bitte auch: Untreue ganz nüchtern.