Free Dating – das Märchen von kostenlos und gleichwertig
Nichts wurde in Barcelona kontroverser diskutierte als „free Dating“, auf deutschen also „kostenlose Datingseiten“. Während einige wenige Teilnehmer ihr Modell aufs Heftigste verteidigten, sagten andere, dass man in Wahrheit gar keine kostenlosen Dating-Seiten mehr aufbauen könne.
Was ist also so gut am kostenlosen Dating? Nun, die Seiten sind einfacher aufzusetzen – und man braucht keine komplizierte Buchhaltung – das war das erste und vermutlich stichhaltigste Argument für die Betreiber. Das ist allerdings auch schon fast alles. Denn so genau wollte niemand der Betreiber kostenloser Datingseiten sein Geschäftsgeheimnis preisgeben. Doch eines ist sicher: „Freie“ Datingseiten leben nicht davon, Partner zusammenzuführen, sondern davon, die Mitglieder möglichst oft auf die Webseite zu locken. Man darf sich das gerne so vorstellen: Ein Mitglied, das einen Partner findet, ist ein verlorener Posten für die Webseite – an diesem Mitglied wird kein Geld mehr verdient. Viel interessanter sind Mitglieder, die lange und häufig suchen, ohne einen Partner zu finden. Sie können täglich mit Werbung vollgedröhnt werden – und die hat es in sich.
Es ist ja nicht die Mini-Werbung, die das große Geld bringt. Wer richtig verdienen will, muss schon an die Sachen heran, die „richtig Kohle“ bringen, und das sind beispielsweise Seiten für Glücksspiele, für überteuerte Unsinns-Ratgeber „Wie kriege ich jede Frau herum?“ – und eben bezahlte Datingseiten, worunter auch die fetten Fische im „Adult Dating“ fallen.
Für Neugründer ergibt sich allerdings eine sehr interessante Frage: Kann man mit gegen 1000 Zugriffen auf die Webseite täglich bereits genügend Werbeeinnahmen erzielen, um ein akzeptables Einkommen zu haben?
Die Antwort ist ein klares „Nein“. Webseitenbetreiber, die mit Werbung erfolgreich sein wollen, benötigen gegen 10.000 Zugriffe am Tag, und „große Sprünge“ lassen sich davon immer noch nicht machen. Im Grunde genommen ist die Sache also mausetot, jedenfalls für Neugründer.
Während die „Free-Dating“-Enthusiasten dies natürlich nicht so sahen, waren die „Freemium Dating“-Anhänger einhellig der Meinung: „Man kann (heute) keine freie Dating Seite (mehr) aufbauen.“ Sie setzen auf das Freemium-Modell, das sich nicht nur für Marktgiganten wie Badoo eignet, sondern auch für typische „Nischenseiten“. Zwei Möglichkeiten bieten sich hier an: Mikro-Zahlungen (meist in Form einer „Hauswährung“) oder Premium-Mitgliedschaft. Die Idee der Mikro-Zahlungen ist intelligent: Man bekommt sofort etwas, kann den Erfolg schnell messen, und wird dadurch wieder verführt, mehr von der Hauswährung zu kaufen. „Willst du an die erste Stelle?“ Willst du wissen, wo „Rebecca“ sich im Moment befindet?“ Alles ist möglich mit der Hauswährung – behaupten jedenfalls die Betreiber.
Hört man den Betreibern der „ganz freien“ Datingseiten eine Weile zu, dann fühlt man sich wie in Grimms Märchen: Alles ist frei, alles ist besser, alles ist süßer und schnuckeliger – nirgendwo ist eine böse Hexe, die Hans braten und Gretel versklaven will: man hat viele gute und wertvolle Mitglieder, die Betreuung ist optimal gesichert, und Scammer erkennt man mit eingebauten Filtern.
Wie kommt es nur, dass ich nicht an Märchen glaube?
Wahrscheinlich, weil die angeblich „werbefinanzierten“ Seiten nicht im Sinne unseres europäischen Verständnisses „durch Werbung finanziert“ sind, die für den Benutzer zwar lästig ist, aber im Prinzip nichts kostet. Nein, diese Seiten leben von dem Geld, das der Kunde anderweitig ausgibt (also nicht bei ihnen), indem er weitergeleitet wird. Im Endeffekt ist man also weder werbefinanziert noch kostenlos, sondern man erwartet beständig, dass ein großer Teil der Kunden und Interessenten anderen Anbietern Geld zahlt, die teils an Provisionen wieder zurückfließen.