Online-Dating Kritiker – verblendete Fanatiker?
Die Kritik am Online-Dating hat mehrere Grundlagen:
– Die Romantiker sehen darin den Verlust des sinnlichen Zufalls, der Paare zusammenführt.
– Die Kulturkritiker glauben, einen Rückfall in die Zeiten der Vernunftehe feststellen zu können.
– Die Kapitalismuskritiker sehen im Online-Dating einer perfide Auswirkung des allumfassenden Spätkapitalismus: Menschen werden vollends zur Ware.
Haben sie alle recht? Ich gebe die Antwort gleich, um Sie nicht auf die Folter zu spanen: Alle diese Meinungen entspringen Ideologien, und sie halten einer Überprüfung nicht stand. Sie kommen zu einem großen Teil von Menschen, die auf das hereinfallen, was „offiziell verlautet“. Am Beispiel: Wenn sich ein Mensch auf Partnersuche begibt, dann ist er weder eine Ware noch bietet er sich Käufern an, er muss aber zeigen, dass er sich „am Markt“ befindet. Diese „Märkte“ existieren überall, sichtbar oder unsichtbar. Mit Kapitalismus hat das nicht das Geringste zu tun.
Beispiel Singlebörsen: Selbst, wenn Menschen dort als „Angebote“ aufgefasst werden können (wie etwa bein einem Tanztee, einem Single-Event oder einem „Ball der einsamen Herzen“) so sind sie doch nicht für jeden verfügbar. Man muss sich um sie bemühen, und das ist oft gar nicht einfach, wie jeder Benutzter von Singlebörsen weiß. Es ist völlig falsch, zu behaupten, die Vorauswahl entspräche einer „rationalen Entscheidung“. Wie denn? Bei den dürftigen Daten, die in Singlebörsen zur Verfügung stehen? Die Entscheidung ist nur insoweit rational, als man gewisse Gruppen von „inadäquaten“ Personen ausfiltert – das tun aber die Partnersuchenden auch, die „traditionell“ suchen.
Beispiel Online-Partnervermittler: Sie behaupten zwar, wissenschaftliche Kriterien zu verwenden, doch begrenzen sich diese auf einen relativ eng gezogenen Zirkel von Persönlichkeitsmerkmalen. Diese Merkmale reichen niemals aus, um sich zu verlieben, sondern bestenfalls, um ein Date miteinander zu vereinbaren. Selbst, wenn eine Vorauswahl durchaus sinnvoll sein kenn (und ich akzeptiere dies) hat die Sache keinesfalls „Warentestcharakter“. In Wahrheit wird die Person lediglich recht grob bewertet, um sie möglichst „passend“ vorstellen zu können. „Rational“ („Vernünftig“) ist das keinesfalls und die „Vernunftehe“ der Vergangenheit wird hier nicht einmal im entferntesten tangiert. Sie wurde aus ganz anderen Gründen geschlossen als aus „Vernunft“. „Vernunftehe“ oder „Konvenienzehe“ hieß sie nur, um sie von Liebesehen abzugrenzen, die man für „unstandesgemäß“ hielt.
Wenn wir festhalten, dass sich passend Paare am besten in einem ähnlichen Milieu finden lassen, dann ist sowohl die Vorauswahl bei den Singlebörsen wie auch das Vorschlagswesen bei denn Online-Partnervermittlern keine Willkür, sondern ein Prozess, den jeder Mensch bei der Partnerwahl durchläuft: Erst wird eine Vorauswahl getroffen, dann erst geht es an die Feinauswahl, und zuletzt lernt man einander kennen. Freilich: Wenn man mit manchen Mitarbeitern dieser Agenturen spricht, kann man den Eindruck bekommen, als sei der Persönlichkeitstests tatsächlich ein verlässlicher Test für die Partnerauswahl. Doch Nachfragen ergaben, dass sich nur wenige Partner aufgrund von „Spitzenergebnissen“ in der Übereinstimmung treffen – und diejenigen, die es dennoch tun, erleben oft genug Enttäuschungen.
Der Gegensatz in der Partnerwahl zu früher, etwa in den 1950er oder 1960er Jahren? Die Vorauswahl entstand dadurch, „wo man verkehrte“, die Feinauswahl dadurch, mit wem man tanzte oder sich dort unterhielt, und das endgültige Kennenlernen dadurch, dass man sich entschloss, sich ein wenig länger privat zu unterhalten.
Main Fazit: Die Kritiker sind Opfer ihrer eigenen Sichtweise der modernen Welt. Sie glauben, weil SIE die Welt aus der Sicht des Romantikers, des Kapitalismuskritikers oder des Kulturkritikers sehen, müssten die Partnersuchende ihnen folgen und die Welt in der gleichen Weise sehen wie sie selbst. Das Ganze kommt religiösem Fanatismus nahe: So wie der religiöse Fanatiker die Welt sieht, so sollen alle Menschen werden.
Glücklicherweise haben alle fanatischen Mahner unrecht: Die Menschen verhalten sich am Ende nicht so, wie die diese Schwarzseher es voraussehen, und sie tun auch nicht „Buße und kehren um“. Sie finden einfach einen Weg, den sie Leben nennen, und das ist verdammt noch einmal ihr gutes Recht. Partnersuchende suchen Partner – sie können auf das dumme Geschwätz über ihr „fehlerhaftes“ Kulturverhalten wahrlich verzichten.
Der Kolumnist des Guardian war anderer Meinung als ich.
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