Natürlichkeit gewinnt – oder auch nicht
Natürlich ist die Frau natürlich am natürlichsten. Das scheint das Fazit einer Studie zu sein, die laut dem Blog von FS24 auf Professor Hassebrauck zurückgeht. Zitat:
38 Prozent der Damenwelt wünschen sich einen natürlichen Mann an ihrer Seite und auch für Männer (47 Prozent) ist die perfekte Partnerin am besten ganz natürlich und eher unauffällig.
Zufälligerweise besitze ich das Buch des Professors „Alles über die Liebe“ von 2010 – das liegt noch nicht allzu lange zurück. Natürlichkeit? Oh, Natürlichkeit … wenn sie wichtig wäre, dann müsste diese Eigenschaft bei Männern gegenüber Frauen hoch eingestuft werden. Sie tauchte aber gar nicht auf, denn auf einer Skala von eins (völlig unwichtig) bis fünf (sehr wichtig) kamen nur fünf relevante Frauen-Eigenschaften, die „Männern wichtiger sind als Frauen“.
1. Erotisch.
2. Attraktiv.
3. Gut aussehend.
4. Aufregend.
5. Möchte Kinder (bereits wenig relevant)
Bei den Frauen gegenüber Männer vermisste ich die Natürlichkeit ebenso: Intelligenz und gute Manieren standen auf der Liste oder Eigenschaften ganz oben, die bei Frauen stärker zählten – das ist mindestens logisch.
Erstaunlich, wie diese Daten abweichen, nicht wahr? Ich habe in diesem Fall gar nicht erst bei FS24 zurückgefragt, weil ich bislang auf keine meiner Fragen an FS24 eine Antwort erhielt.
Statt dessen habe ich mir einmal angesehen, wie „Natürlichkeit“ früher bewertet wurde und was sie tatsächlich für Menschen bedeutet.
Wie war dies also 1980? Was wollten die Männer, was die Frauen? Und wie stellten sie sich selbst dar? Hier die Zahlen:
Prädikat „Natürlich“ (1980)
Selbstdarstellung der Männer: nach (beispielsweise) zärtlich, sympathisch, humorvoll und kinderlieb) auf Rang sechs.
Wünsche der Männer an Frauen: nach (beispielsweise) warmherzig, zärtlich, feminin und humorvoll) auf Rang neun.
Selbstdarstellung der Frauen: nach (beispielsweise) feminin, herzlich, einfühlsam, zärtlich auf Rang sechs.
Wünsche der Frauen an die Männer: Völlig abgeschlagen auf Rang 22.
Damals waren die meistgesuchten Männer:
1. Geistreich, klug oder intelligent.
2. Humorvoll.
3. Warmherzig, herzlich, Herzensbildung und ähnlich.
Die meistgesuchten Frauen sollten sein:
1. (Nett, hier nicht bewertet)
2. Warmherzig, herzlich, Herzensbildung und ähnlich.
3. Zärtlich.
4. Geistreich, klug oder intelligent.
Wie kann man „natürlich“ bewerten?
Ihnen wird aufgefallen sein, dass ich verschiedene Attribute ausgelassene habe, davon beispielsweise das 1980 sehr beleibte „vielseitig interessiert“ und das nichtssagende „nett“, weil beide keine wirklichen Eigenschaften sind. Nun fragt sich aber, ob denn „natürlich sein“ eine menschliche Eigenschaft ist oder ob sie eher in den Bereich jener unscharfen Phantome gehört, zu denen auch „nett“ zählt.
Sehen Sie, das ist es so: Der Kulturmensch ist, anders als der Affe, nicht „natürlich“ – und sogar die Affen sind es nicht immer. Man wünscht sich einerseits, dass Mann oder Frau tatsächlich „natürlich“ reagiert, also mit den Kräften der Unnatur, die besonders beim Flirt sichtbar werden, andererseits erwartet man beim Sex eine komplexere Übereinkunft, als sie der Schimpanse erwartet. Die reine, ungestüme Natürlichkeit ist gar nicht gefragt – sie muss immer hinter den kulturellen Gegebenheiten zurückstehen.
Man braucht sich nicht zu Fragen, was die Inserentinnen und Inserenten der 1980er Jahre bewogen haben mag, „natürlich“ als Attribut zu verwenden – aber man mag sich sehr wohl fragen, was einen Wissenschaftler bewogen hat, einen so unscharfen Begriff zu verwenden, um daraus Statistiken zu erstellen.
Die PM von FS24 erschien unter dem Titel: „Natürlichkeit gewinnt“ auch auf: fem.com
Weitere Quellen: Hans Werner Flesch: „Nur ernstgemeinte Ziurschriften erbeten…“, Düsseldorf, 1982, Manfred Hassebrauck: „Alles über die Liebe“, München 2010.
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Hinweis: Der Artikel wurde im Nachhinein geringfügig verändert, da ein Abschnitt unvollständig war.