„Dating unter sich“ oder „bei mir bist du schön“?
Wenn die These stimmt, die uns Soziologen immer wieder vorsetzen, dann hat der Mittelstand Angst vor dem Absturz. Der größte Teil dieser Angst ist irrational, aber sie ist tief verwurzelt. Der Mittelstand zieht in besondere Wohngegenden, die oft abgeschottet werden, schickt die Kinder auf Privatschulen und findet die passenden Partner bei Online-Partneragenturen. Die Angst, auf keinen Fall „herunterzufallen“, führt offenbar zu einem merkwürdigen Phänomen: Den Partner spät zu suchen und ihn möglichst auch im Mittelstand „auf Augenhöhe“ zu finden.
Die meisten Mittelständler sind, auch wenn sie es nicht gerne hören, gesellschaftliche Aufsteiger. Die Schwemme von Akademikern hat uns ja keine wirklichen „neuen Eliten“ gebracht, sondern hauptsächlich eine neue Gruppe, die glaubt, Anspruch auf das Leben zu haben, das ein Akademiker in den 1960er Jahren führen konnte. Das war ein Leben mit großen Automobilen, Eigenheim und dem Dünkel, staatstragend, meinungsbildend und moralisch führend zu sein.
Zurück zum Dating: Heute möchte man „Dating unter sich“ ausmachen – jedenfalls im Mittelstand. Wenn wir genau hinsehen, wer „Downdating“ betreibt, dann ist es nicht die Millionärin, die mal mit dem Koch schläft – das kann sie sich leisten. Nein, es ist die Mittelstandsfrau, die durch ihre Karriere „nach oben“ katapultiert wurde und die sich nun schämt, den Handwerker zu treffen.
In diesen Kreisen verachtet man Frauen, die sich auf andere Art „nach oben drängen“, etwa durch das Hinaufheiraten oder gar das Hinaufschlafen in „bessere Kreise“ – vor allem, weil sie den ohnehin schon proppenvollen Markt noch weiter belasten.
Das Ziel, glücklich zu werden, zu heiraten und Familien zu gründen, werden aber nur diejenigen erreichen, die sich ernstlich bemühen, einander das Leben zu verschönern und zu bereichern. Wer hingegen nur an die Sicherung der eigenen Existenz denkt, wird immer nur „zweite Wahl“ bleiben – die erste Wahl werden immer diejenigen sein, deren Versprechen „Bei Mir Bistu Shein“ auch eingelöst wird. Denn das Einzige, was in einer Beziehung wirklich zählt, ist die Frage, ob man als Person wichtig ist:
Für mich bist du liebenswert,
Für mich bis du großartig,
Für mich bist du die Einzige auf der Welt,
Für mich bist du wunderbar,
Für mich bist du alles,
Für mich bis du wertvoller als Geld.
(Übersetzung aus dem Jiddischen)
Der Paarberater Arnold Retzer hat dem Satz „Bei mir bist Du schön“ sogar ein ganzes Kapitel seines Buches „Lob der Vernunftehe“ gewidmet – er nennt dies eine „positive Illusion“.
Manchmal ist es eben besser, sich miteinander eine Illusion des Lebens zurechtzuschneidern als die Realität anzunehmen, unter der man einander begegnet.
Übrigens: Was halten Sie von der Lead-Sängerin? Ist sie nicht „shein“?