Die romantische Liebe – kein Ideal, sondern eine Idealisierung
Die Liebe ist nicht mehr das, was sie mal war – das hören wir von überall. Aber was ist die Liebe eigentlich?
Nein, ich will Sie hier nicht mit Definitionen langweilen, sondern nur eine ins Spiel bringen: Die große, romantische Liebe ist eher eine Erfindung von romantisierenden bürgerlichen Schriftstellern als eine Tatsache. Ziehen wir einmal die Phase der Verliebtheit ab, die für jedes Paar romantisch ist, dann lebten auch die Paare des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger im Ehealltag, der alles andere als „romantisch“ sein kann. Tacheles geredet: Die „romantische Liebe“ ist kein Ideal, das man anstreben sollte, sondern eine Idealisierung eines Teiles der Liebe. Nun – und im 19. Jahrhundert musste man schon unter den Affären forschen, um überhaupt eine „romantische Liebe“ zu finden.
Die WELT am SONNTAG fragte den Autor Wilhelm Schmid, ob denn im Internet „wirklich für jede und jeden scheinbar unendlich viele Partner zur Verfügung“ stehen würde, worauf Schmidt antwortete:
„Theoretisch ja. Und der Mensch greift immer begierig nach erweiterten Optionen. Bis ihm nach einiger Zeit klar wird: Immer wieder etwas Neues kostet Kraft und bringt selten Erfüllung.“
Damit hat er recht: Die Suche nach dem „Idealpartner“ kostet bereits viele Kraft, und wer immer wieder und immer wieder danach sucht, verschenkt einen Teil seines Lebens an eine Illusion.
Sicher lebt die moderne Zeit von Illusionen, aber mit den meisten können wir mittlerweile umgehen – hier die Illusion, der wir uns hingaben, dort die Realität.
Allerdings – die Menschen sind zumeist nicht auf die „große weite Welt“ und „unendliche Möglichkeiten“ vorbereitet. Viel der Partnersuchenden werden sogar von den scheinbar „unendlichen“ Möglichkeiten erschlagen – das ist übrigens der Grund, warum so viele Menschen inzwischen Partneragenturen auswählen statt Singlebörsen. Dazu Schmid:
„Es gab noch nie eine Zeit, in der sich so viele Möglichkeiten der Partnerwahl boten. Wir haben aber keine Ausbildung dafür und müssen uns mühselig einfinden.“
Das klingt plausibel und ist es doch nicht. Wer in den 1960er Jahren „tanzen ging“, musste auch aus einer großen Anzahl von Partnerinnen diejenige auswählen, die er attraktiv fand – und aus den betanzten Damen dann wieder diejenige, mit der er sich die besten Erfolge für seine Absichten ausmalen konnte – und die Dame musste selbstverständlich in ähnlicher Weise wählen. So gesehen unterscheidet sich Online-Dating nicht so wesentlich von konventionellem Kennenlernen. Die Feinauswahl trifft man bei Dates – und dabei kommt es darauf an, die Fähigkeit des Abwägens nicht zu vergessen, bevor der Liebesrausch einsetzt.
Bild: Sektwerbung, gegen 1910
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