Die „gute alte Zeit“ war ein Hort der verlogenen Moral
Es ist zwar bekannt, wie der „Standard“ berichtet, aber darüber schreiben sollte man doch einmal: Die angebliche „gute alte Zeit“, war verruchter und moralisch verwerflicher als die heutige Zeit.
Gemeint ist die bürgerliche Doppel- und Scheinmoral des 19. Jahrhunderts – nicht nur in Wien, wo sicherlich eine Hochburg der Scheinheiligkeit existierte, sondern selbstverständlich auch in Deutschland, wie Ernst Fuchs (der „Sittenfuchs“) glaubhaft berichtet. Diese verlogene Moral stellte sich so dar:
Im Wien des 19. Jahrhunderts kam einerseits jedes zweite Kind unehelich zur Welt – gleichzeitig aber genügte der Anblick eines unbedeckten Frauenknöchels, um einen Skandal auszulösen.
(Zitat aus dem „Standard“)
Man hat diese Zeit verherrlicht – selbst in der jungen Bundesrepublik gab es in den 1950er Jahren Heerschaaren von glühenden Befürworterinnen und Befürworten des Bürgertums nach dem Muster des 19. Jahrhunderts. Doch was war wirklich? Im 19. Jahrhundert erwarteten die „guten Bürger“ beispielsweise, dass ihnen ihr „Dienstmädchen“ „wie selbstverständlich … zu Willen sein musste“.
Haben wir das vergessen? Und haben wir auch vergessen, dass keine Bürgertochter heiraten konnte, wen sie wollte? Dass Ehemänner von den Vätern der Bürgertöchter sozusagen mit der Mitgift „gekauft“ werden mussten?
Ja – wir haben es vergessen. Ein Buch erinnert jetzt daran – möglicherweise etwas einseitig. Denn das Bürgertum jener Jahre versuchte, in der Ehe die Fassade der Wohlanständigkeit für Frauen hochzuhalten: Die Eskapaden der Töchter und die Seitensprünge der Frauen wurden zumeist erfolgreich verheimlicht – wären herausgekommen, dass die Ehefrau „zu viele Leute kennt“, hätte diese dem Ansehen des Ehemannes geschadet – dies wollte er aber in fast jedem Fall vermeiden und nahm so lieber die Früchte der Seitensprünge in seine Familie auf. Falls die Tochter „in schlechten Ruf gekommen“ wäre, hätte der Vater noch mehr Mitgift zahlen müssen, um sie endlich „an den Mann zu bringen“.