Liebe – keine Vormundschaft durch Kirche und Psychoanalyse
Der 1957 geborene deutsche Journalist Jan Feddersen schreibt über die beiden deutschen Kirchen und analysiert ihr Verhältnis zum Adenauerstaat und zur Sexualität. Kernstück des Artikels ist eine Erfahrung der letzten Wochen, die jeder Fernsehzuschauer miterleben konnte: Die Kirche ist nicht in der Lage, aus sich selbst heraus zu wirken, sondern sie muss ich dauernd erklären. Interessant ist dabei der Seitenhieb auf die Psychoanalyse (wörtlich):
Beiden hiesigen Kirchen geht es wie den therapeutischen Disziplinen, etwa wie der Psychoanalyse: Sie wirken nicht aus sich selbst heraus plausibel, sondern müssen sich dauernd erklären.
Würden die Kirchen bei der Religion bleiben, hätten sie genug damit zu tun, deren Widersprüche zu erklären – und genau das Gleiche gilt seit ihrer Entstehung für die Psychoanalyse. Beide halten uns einfach nicht für kompetent, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen und unsere Maßstäbe selber zu entdecken und gemeinsam zu vereinbaren.
Allerdings – und hier muss ich eine Einschränkung machen – das gilt nur für die Institutionen und nicht für den Pfarrer vor Ort oder den Psychoanalytiker in seiner Praxis. Beide haben es schwer genug, das Leben da draußen mit ihren Lehren in Einklang zu bringen – und sie tun gut daran, die reine Lehre einfach einmal zu vergessen. Die Liebe beispielsweise gehört den Liebenden – und nur sie sollen sie definieren dürfen. Wer sich auf diesem höchstpersönlichen Gebiet von Kirche und Psychoanalyse bevormunden lässt, sollte auf der Hut sein, sich nicht selbst zu verlieren.