Stil ist nicht „guter Stil“ – und bei der Liebe darf man ihn ablegen
Manchmal ist es Zeit, daran zu erinnern, wie weit wie in der deutschen Sprache vom wohlgesetzten Maß abgekommen sind. Ich bemerke es ständig daran, dass viele Wörter nur noch wertend gebraucht werden: „Die gute Kommunikation“ ist so ein Begriff. Merkwürdig, dass die „gute“ Kommunikation dabei nie eine Rolle spielet, sondern die Behauptung, eine „bessere“ Kommunikation erfunden zu haben.
Genauso verhält es sich in Beziehungen – es reicht nicht, wenn man in ihnen Leben und sich wohlfühlen kann. Seit die Beratungsbranche das Geschäft entdeckt hat, müssen wir „Beziehungsarbeit“ verrichten, um zu vermeintlich „besseren Beziehungen“ zu kommen – bekanntlich ist ja von der Liebe nie mehr die Rede. Wer wollte sich schon anmaßen, eine „bessere Liebe“ zu fordern?
Stil lebt vom Wiedererkennungswert
Stil zu haben bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als einen bestimmten Lebensstil zu entwickeln und über einen längeren Zeitbereich beizubehalten. Wer Stil hat, sollte deshalb vor allem einen verlässlichen Charakter und einen ebenso verlässlichen Geschmack haben. Der stilvolle Mensch erkennt sich selbst in seinem Stil wieder, und andere sollen ihn auch daran wiedererkennen, denn Stil lebt vom Wiedererkennungswert – das ist seine eigentliche Bedeutung.
Die Münder unter hoch getragenen Bürgernasen mögen von einem „guten Stil“ faseln: Richtig ist dies nicht, denn es gibt kein „gut und böse“ oder „gut und schlecht“ im Stil. Sagt jemand, etwas sei „schlechter Stil“, so meint er gar nicht den Stil, sondern eine Abweichung: Er erwartete, in einem anderen Stil angesprochen zu werden.
In der Liebe lockt der der Stilbruch
Übrigens ist in der Liebe nicht der Stil, sondern der Stilbruch von großer Bedeutung: der eigene Stil muss sich dem Stil eines anderen Menschen öffnen, und mit dieser Öffnung tun sich dann auch oft die Abgründe seiner Sehnsüchte auf: Wer im Maßanzug seinen Stil als freundliche, aber unnahbare Persönlichkeit gefunden hat, muss ihn in Unterhose und voller Geilheit dann und wann eben auch an der Garderobe abgeben. So ist es nun einmal, wenn man einen Stil pflegt: Man muss ihn bei passender Gelegenheit auch aufgeben können.
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