Psychologie zwischen Wissenschaft und Tinnef
Manche Menschen haben einen festen, unverbrüchlichen, beinahe religionsähnlichen Glauben an die Wissenschaft – sogar dann noch, wenn sie „Psychologie“ heißt und sich an wenigen, etwas fadenscheinigen Behauptungen fest macht wie beispielsweise der Myers-Briggs-Typindikator oder einer seiner vielen Brüder und Schwestern. Andere bezeichnen eine derartige Psychologie als „Tinnef“ oder als „Damenpsychologie“, die bestenfalls für Tests in Frauenzeitschriften taugt. Die Psychologie selbst will natürlich eine Wissenschaft ohne Tadel sein – aber erfüllt sie den Anspruch? Warum stellen Psychologen so viele Behauptungen auf, warum wirkt ihre Wissenschaft stets so altbacken und warum müssen Psychologen ihre Aussagen ständig revidieren?
Dieser kurze Artikel kann nur anreißen, was die Ursache dafür sein könnte – und zwar am Beispiel zweier angeblich wichtiger Kriterien für die Partnerübereinstimmungstests: Introvertiertheit und Extravertiertheit. Dennoch wirft er bereits viel Licht auf den Wert sogenannter „psychologischer Testverfahren“.
Physiker würden den Kopf schütteln über die Bewertungen der Psychologen
Ein Physiker wird Ihnen nicht sagen können, ob etwas „heiß“ oder „kalt“ ist, es sei denn, er würde die extremste Hitze, die in der Natur vorkommt, und die größtmögliche Kälte gegeneinanderstellen. Die geradezu lachhaften Unterschiede, die wir Menschen als „heiß“ oder „kalt“ empfinden, wird er als Nonsense abtun. Die ist übrigens leicht beweisbar: Bei unserer eigenen Körpertemperatur empfinden wir zwei Grad Unterschied bereits als sehr heftige Schwankung – ist die Körpertemperatur einmal bei 39 Grad, so ist dies bereits besorgniserregend. Gehen wir nun aber hinaus in die Natur eines Landes, in dem solche Temperaturen vorkommen, so können wir kaum noch zwischen 37 und 39 Grad unterscheiden – beides wird als „heiß“ empfunden.
Der Physiker schüttelt deshalb den Kopf, wenn er vom Psychologen hört, ein Mensch sei „introvertiert“, der andere „extravertiert“ – er erkennt, wie wir gerade bemerkt haben, solche Dualismen gar nicht an. Er möchte nun einen Gradmesser wie „Charaktertemperatur“, und selbst, wenn er den hätte, würde er immer noch sagen: „Nun ja, es kommt eben darauf an, aus welcher Sichtweise Sie die Dinge betrachten, Herr Psychologe“. Denn: In einer heftigen Debatte kann ein Wert von 39 für „Vertiertheit“ noch ganz normal sein, während er bei der Besänftigung eines Unfallopfers bereits viel zu hoch ist.
Noch weiter würde nun ein kybernetisch orientierter Wissenschaftler gehen. Er würde sagen, dass ein und dasselbe Objekt (also Sie, liebe Leserin, lieber Leser) in verschiedenen Situationen und abhängig von allen Beteiligten eine nicht voraussehbare „Vertiertheit“ hätten. So gesehen könne man also nicht voraussagen, wie sich das kybernetische Modell (zum Beispiel Sie und ihr Partner) entwickeln würde. Einfacher gesagt: Wie sie sich in einer Partnerschaft entwickeln, hängt in erster Linie von der Entwicklung Ihres gegenseitigen Verhaltens ab und nicht so sehr von dem Charakter, den Sie einbringen.
Die populäre Psychologie ist voller Mängel
Trotz der Mängel, die sich die Psychologie generell ankreiden lassen muss, wenn es um Begriffe wie „Charakter“ und „Persönlichkeit“ geht, wird sie nun allerdings ständig bemüht, um irgendwelche Thesen über den Menschen und sein individuelles Verhalten zu beweisen – nur werden dabei überwiegend eben jene Bausteine verwendet, die in so gut wie allen Bereichen der Naturwissenschaften längst verworfen wurden – Dualismen.
So beharren die Psychologen bis zum heutigen Tage darauf, dass sich Menschen am besten nach „extravertierten“ und „introvertierten“ Charakteren unterscheiden lassen. Die Sache hat den Haken, der Ihnen nun bekannt sein dürfte: Es gibt kein Maß für „Vertiertheit“. Beide Wörter sind willkürlich aus der Luft gegriffen. Selbst wenn es nun aber diese „Vertiertheit“ als Maßstab gäbe, wäre sie noch nicht zuverlässig genug, um in das aktuelle Verhalten umgesetzt werden zu können: Eine erfolgreiche Frau kann als Chefin extravertiert und als Mutter introvertiert sein, und beide Eigenschaften können sich innerhalb einer Liebesbeziehung abhängig vom anderen Partner völlig unterschiedlich entwickeln.
So – das war es Prinzip. Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal einen Psychotest machen lassen – gleich, wann, wo und wie.
Hinweis: Vertiertheit wird hier im Sinne von „Hinwendung zu“ gebaucht – das Wort ist so sinnlos oder sinnvoll wie die Psychobegriffe „Extravertiert“ (nach außen gewandet) und „Introvertiert“ (nach innen gewandt).