Früher – falscher Zungenschlag bei der Partnerwahl
Früher ist so ein Wort. Schon mein alter Geschichtslehrer riet uns, den Begriff stets nur mit genauen Angaben der Epoche zu verwenden, wenn wir „früher“ meinten.
Ich persönlich kenne das Wort „früher“ eher aus den Erzählungen meiner Großmutter, für die „früher“ die sogenannte „gute alte Zeit“ war, womit sie überwiegend das „Deutsche Kaiserreich“ meinte. Sie erlebte in dieser Epoche freilich nur ihre Jungmädchenzeit . Doch bereits bei ihrer Eheschließung war die Herrlichkeit des Bürgertums in Scherben gegangen – die „gute alte Zeit“ war vorbei.
Ich erinnerte mich an diese Umstände, als ich von einer Sozialforscherin hörte, die dies sagte:
Früher strukturierten äußere Gegebenheiten die Lebensumstände: Familienverbände, Gemeinden, Dorfgemeinschaften. Es gab einen klar überschaubaren Heirats- und Partnersuchemarkt“ … „man stieß auf Partner, die einem ähnlich waren.
Leider ist das, was die Professorin Margot Berghaus da von sich gibt, nur ein Teil der Wahrheit, denn …
– Im 19. Jahrhundert war eines der wichtigsten, wenn nicht das alleinige Kriterium bürgerlicher Ehen, wie hoch die zu erwartende Mitgift war – Partner, die einem „ähnlich waren“ standen gar nicht zur Debatte.
– Im 19. Jahrhundert, aber auch noch bis ins 20. Jahrhundert hinein starben viele Frauen während der Geburt eines Kindes am sogenannten „Kindbettfieber“. Für die Väter ergab sich damals die zwingende Notwendigkeit einer Zweitheirat, die oft „gegen die Lebensumstände“ über Zeitungsannoncen gesucht wurde – ein „überschaubarer Markt“ war gar nicht vorhanden.
– Im 20. Jahrhundert gab es zwei große Kriege, die sich auf den Heiratsmarkt verheerend auswirkten: Die Anzahl heiratsfähiger Männer wurde drastisch reduziert, während die Anzahl der Witwen und Waisen stieg. Es war oft gar nicht daran zu denken, innerhalb des üblichen „Heiratsmarktes“ einen Partner zu finden.
Seien Sie also selbst vorsichtig, wenn Sie den Begriff „früher“ verwenden, denn „früher“ ist immer nur die ferne Vergangenheit – und diese Vergangenheit ist heute für viele junge Menschen schon die Zeit gegen 1970.
Ansonsten ist dieser Artikel hier allerdings sehr lesenswert – und die Forscherin wusste immerhin ein paar Wahrheiten über Ehevermittler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das war auch „früher“.