Macht die Macht sexy oder führt sie zu Missbrauch?
Der Titel ist bewusst provozierend gewählt – so, wie er eben in großen Teilen der Presse behandelt wird. Demnach ist Macht „eigentlich“ sowieso ganz schlecht und wenn nicht sowieso, dann, solange sie in den Händen von Männern ist. Und sollte sie in den Händen von Männern sein oder bleiben, dann führt sie eben zum Missbrauch.
Macht kann zum Missbrauch führen
Macht kann missbraucht werden: sozial, politisch, körperlich, emotional und eben auch sexuell. Doch das gängigen Klischee lehnt sich weiter hinaus: Männer haben Macht, Frauen haben keine. Und weil das so ist, „vergreifen“ sich Männer an Frauen. Soweit das gängige Klischee.
Großvaters Machtvorstellungen – noch aktuell?
So ganz ist diese Sichtweise nicht aus der Welt zu schaffen. Auch im aktuellen ZEIT-Gespräch mit dem allgegenwärtigen Sexualtherapeuten Ulrich Clement. Dem traut die ZEIT zu, die Geheimnisse der Ausübung und der Attraktion der Macht zu entdröseln.
Es ist ein Gespräch um Frauen und Männer, so, wie es früher einmal war. Ja, man erkennt die Strukturen, die aus Großvaters Welt stammen. Nur mit einem Unterschied: Zu Großvaters Zeiten hatten Frauen gar keine Macht, Männer hingegen alle Macht dieser Erde. Und weil dies so war, gab es Frauen, die an der Macht teilhaben wollten. Dazu gab es ein paar Wege, die sehr delikat waren und von denen nur geflüstert wurde: das „Hinaufschlafen“ oder seine „edle“ Alternative, das „Hinaufheiraten“, die Gewähr besonderer erotischer Freizügigkeit für die Teilhabe an der Macht und vieles mehr. Tatsächlich darf man (und besonders „Mann“) dergleichen nicht einmal mehr erwähnen: was heute nicht sein darf, dufte auch damals nicht sein, auch wenn es praktiziert wurde.
Wenn das „Nein“ Konsequenzen hat
Und wie ist des mit dem „Nein“? Einem Mächtigen (auch einer Mächtigen) einen Wunsch zu verweigern, ist für jeden Menschen schwer, der die Nähe der Macht sucht.: Wenn Frauen „Nein“ sagen, dann beschere ihnen dies Nachteile. Männer, so lesen, wir, würden dann auf Rache für das „Nein“ sinnen.
Das mag so sein – aber auch in jeder anderen Konstellation wird ein „Nein“ zu einem Vorschlag möglicherweise Konsequenzen haben – schon das „Nein“ dazu, ins Ausland zu gehen oder eine Abteilungsleitung zu verweigern. Chefs sind leider oft Mimosen, wenn es um die eigenen Gefühle geht – Chefinnen übrigens auch. Das weiß natürlich auch Clement, der sagt:
Der Mann ist dann gekränkt – und Status schützt nicht vor Kränkbarkeit – was das weitere Zusammenarbeiten erschwert.
Nur, dass in Clements Satz statt „Mann“ auch „Frau“ stehen könnte. Machtmissbrauch ist jedem und jeder möglich, der/die Macht hat.
Soll man mit Sexologen wirklich über Macht sprechen?
Es würde sich lohnen, mal an den Sexologen vorbei über den Faktor „Macht“ zu sprechen. Macht wird ausgeübt, und was dabei herauskommt, kann gut oder schlecht sein. Und sich in die Nähe der Mächtigen zu begeben, um an ihrer Macht teilzuhaben, ist der populärste Weg, um Karrieren zu bastelt – und das hat mit Sex vorläufig gar nichts zu tun, sondern nur damit, sich den Gesetzen der Macht anzupassen. Welche Korrekturen an der Persönlichkeit jeder dabei „nach außen“ vertreten kann, ist seine (ihre) Sache. Jeder, der irgendwie, irgendwann und irgendwo an der Macht teilhatte, wird bestätigen: Dann du wann müssen Mann und Frau mit dem Wolfsrudel heulen, auch wenn sie sich so gar nicht wölfisch fühlen.
Machtausübung durch Charme-Offensiven
Und sehen sie, schon reden wir gar nicht mehr von Sex. Vor ihm stehen viele Stufen der Sympathie. Beispielsweise erreichen charmante Frauen in Führungspositionen sehr viel Mehrarbeit oder Mehrwert durch die unterschwellige Aufforderung an Mitarbeiter, die man so umschreiben könnte „du tust es auch für mich“.
Und die Gunst? Wer in der Skala der Gunst eines Mannes oder einer Frau ganz oben steht, der erreicht mehr – und dabei muss es nicht einmal zwangsläufig um „Affären“ gehen. Manche Männer gehen gemeinsam in die Sauna, um dort ihr Kumpelgefühl auszuleben und sich dabei Pöstchen zuzuschachern. Die junge, aufstrebende Frau muss nicht zwangsläufig als „potenzielle Geliebte“ geführt werden – der Boss kann in ihr auch die Tochter sehen. Und wenn man den Bereich noch weiter zieht, dann können durchaus auch gleichgeschlechtliche Neigungen dazu führen, eine Karriere zu fördern – auf Biegen oder Brechen.
Der Gebrauch der Macht ist nicht Geschlechts- und Orientierungsunabhängig
In einem Punkt hat Clement sicher recht: Die typische Legende vom alternden Machtmenschen, der sich als Statussymbol ständig mit neuen jungen Frauen schmückt, ist Geschichte. Heute kann sich eine statusbewusste Frau einen mächtigen oder sinnlichen Lover wählen, und ein selbstbewusster Mann kann sich an der Seite einer sehr sinnlichen oder sehr erfolgreichen Frau wohlfühlen. Und dort, wo die Geschlechtergrenzen aufgehoben werden, sei es aus einer universellen Sexualität, wegen der Bi-Neigung oder wegen der realen und gelebten Homosexualität, kräht derzeit kein Huhn und kein Hahn danach, wer über wen Macht gewinnt und wer dazu einlädt.
Was lernen wir? Vielleicht doch endlich dies: Macht kann attraktiv für andere sein, und SIE können den Mächtigen verfallen oder sich von ihnen abgrenzen. Und ja, es gibt einen schmalen Bereich, in dem Macht missbraucht wird. Aber der ist nicht auf Männer begrenzt.
Zitat aus diesem ZEIT-Artikel