Was macht uns eigentlich attraktiv?
Sie werden sich vielleicht gewundert haben, dass ich gestern einen Artikel schrieb, den ich „Männer sind oft die schöneren Frauen“ betitelte. Er sollte vor allem eins sein: ein Einstieg in die oft gestellte und nie beantwortete Frage, was uns an einer Person so fasziniert, dass wir sie begehren.
Bevor wir aber überhaupt damit beginnen, sollten wir uns auch mit „Faszination“ beschäftigen – das ist sozusagen die andere Seite der Attraktivität. Denn genau genommen ist nicht die Frage, ob wir für andere attraktiv sind – sondern ob andere von uns fasziniert sind. Der Hintergrund: Ein Mensch kann als attraktiv gelten, und doch fasziniert er kaum jemanden. Und andererseits kann ein Mensch faszinierend sein, auch wenn er nicht sonderlich attraktiv ist.
Fragen wir uns zunächst, wie die Klischees und Meinungen über „Attraktivität“ entstehen – ein Teil ist „kollektive Meinungsmanipulation“, wie sie insbesondere von Frauenzeitschriften und Herrenmagazinen betrieben wird. Ein anderer Teil kommt aus fragwürdigen Wissenschaften, die im Grunde Mythen aufgreifen, um sie „wissenschaftlich“ zu beweisen.
Jeder kennt darauf die Antworten, die daraus ständig gegeben werden – und sie funktionieren alle nach einem Schema: „Da gibt’s doch im Volk solche Sprüche – und da gucken wir mal, ob wir die beweisen können.“
1. Nummer eins ist die Evolution
Die Evolution muss immer für alles herhalten – vor allem, wenn Forschern sonst nichts einfällt. Demnach suchen Männer „optisch fruchtbare“ Frauen, während Frauen nach kraftvollen, selbstbewussten und belastbaren Ernährern fahnden. Eine Zeit lang wurde dies als „Steinzeit-Theorie“ verlacht und bewundert. Stichwort: „Es ist alles noch so wie beim Neandertaler“. Diese wundersamen „Tatsachen“ wurden aus Speed-Datings generiert. Es mag etwas dran sein oder auch nicht – der Beweis der „Attraktivität“ oder der „Faszination“ fehlt ebenso wie die Frage, welchen Einfluss die Kultur auf die Partnersuche und die Partnerwahl genommen hat.
2. Nummer zwei ist die Prägung
Manche Psychologie wollen wissen, dass wir immer denjenigen suchen, mit dem wir unsere ersten positiven (möglicherweise auch sinnlichen) Gefühle austauschen konnten. Das kann theoretisch jeder sein: ein Elternteil, ein Verwandter, ein Mensch, den wir im Rahmen unsere Ausbildung kennengelernt haben oder auch einer unserer ersten Liebespartner. Ähnelt der neue, unbekannte Mensch unserem Liebes-Vorbild, so hat er/sie die größten Chancen. Hübsche Idee mit Chancen für Romane und Spielfilme, nur leider nicht beweisbar.
3. Nummer drei ist „Gleich und Gleich“
Die Sache stammt ebenfalls aus der Psychologie. Diejenigen, die wir als gleich empfinden, sind für uns (sozial, ökonomisch, emotional und physisch) attraktiver als andere. Die Meinung ist verbreitet wie Gänseblümchen, und sie wird in zahllosen Publikationen vertreten. Nur – für diese Theorie fehlt jeder Beweis. Wahr daran ist – man heiratet früher fast immer in der gleichen Gesellschaftsschicht oder lokalen Umgebung, also kamen „Gleich und Gleich“ automatisch zusammen. Heute wird vielfach angenommen, man wolle auf „gleichem intellektuellen Niveau“ heiraten, während andere Eigenschaften eher nicht „gleich“ sein müssten. Sie können auch „wirtschaftliches Niveau“ sagen. Übrigens: Es hapert schon an der Definition, was „gleich“ ist und wieso dies die Attraktivität erhöhen soll.
4. Nummer vier ist „Unterschiedlich“
Die gleiche Quelle, die uns „Gleichheit“ als „attraktiv“ verkaufen will, ist auch für das Gegenteil verantwortlich: Unterschiede. Dabei spielt die Faszination allerdings eine recht große Rolle: Der Partner, der nicht so viel Mut oder wirtschaftliches, oft auch intellektuelles Potenzial hat, ist fasziniert von Macht, Ruhm, Reichtum und Abenteuerlust des anderen – oder einfach vom „Exotischen“, das ihm anhaftet. Es geht dabei ein bisschen nach dem Motto: „Hol mich hier raus und mach mich damit glücklich.“ Cinderella lässt grüßen. Doch letztlich bleibt die Frage: Hält die Faszination an? Bleibt die Attraktivität erhalten? Die Antwort wäre sehr einfach: Falls beide Eigenschaften haben, die den anderen faszinieren, dann geht es gut. Falls nicht, geht’s schief. Also: Unterschiede können unglaublich attraktiv sein, vor allem, wenn es um die Faszination geht. So richtig beweisbar ist das aber auch nicht – man müsste sehr viele Paare über lange Zeit untersuchen, und zwar mit verlässlichen Methoden. Und da wären wir wieder bei „Gleich und Gleich“: als Annahme ganz nett, aber nicht beweisbar.
5. Nummer fünf: ein Zusammenspiel von vielen Faktoren
Es ist nichts von alldem, was Sie wissen und was Sie kennen. Es ist die Botschaft, die ein Körper sendet, und die Art, in der diese Botschaft beim Partner empfangen wird und auf fruchtbaren Boden fällt. Es kann ein Satz sein, eine simple Geste oder die Art sein, (Zitat, 1) wie Augen, Lächeln, Stimme, Haltung, Ernsthaftigkeit und Ironie zu einer Komposition werden, von der man nicht mehr wegschauen kann. Es mag Ihnen vielleicht als zu simpel erscheinen, einfach ein „Zusammenspiel“ an die Stelle einer Eigenschaft zu setzen. Falls das so ist, gebe ich Ihnen dies zu bedenken: Wir Menschen sprechen digital, denken aber analog. Oder mit einfacheren Worten: Wir machen uns Bilder, in denen unsere Gefühle verborgen sind – und keine Sätze. Das ist das Geheimnis, und daher ist es so schwer, Attraktivität und Faszination zu begreifen.
Wer von Attraktivität redet, sollte immer ergänzen … für … Es nützt nichts, die begehrenswerteste Frau für alle zu sein (oder ein entsprechender Mann). Die Frage ist immer, wessen Begehren oder wessen Begierde Sie (ja, auch Sie) ansprechen wollen. Dann wäre die nächste Frage, was passieren soll, wenn das Begehren oder die Begierde ihre Zielperson findet – denn nur sie kann mit der „Attraktivität“ etwas anfangen, und nur mit ihr kann sich daraus etwas entwickeln. Übrigens reichen weder Attraktivität noch Faszination, um dauerhafte Beziehungen einzugehen – aber das ist ein ganz anderes Thema.
(1) Zitat aus Elle