Wer berührt unsere Seele?
Bevor wir uns mit dem „Berühren“ der Seele beschäftigen, lassen Sie uns bitte klären, was die Seele eigentlich ist. Und schon schwimmen wir in einem tiefen Ozean, über dem sich Nebelschwaden bewegen. Denn genau genommen ist die Seele das, was sich weder mittelbar noch unmittelbare beim Menschen erklären lässt. Zwar behauptet Wikipedia, die Seele sei „im heutigen Sprachgebrauch“ … die Gesamtheit aller Gefühlsregungen und geistigen Vorgänge beim Menschen“, aber das ist eine sehr nebulöse Definition. Schon allein deswegen, weil Gefühlsregungen und geistige Vorgänge sich nicht exakt beschreiben lassen.
Sehen wir näher hin, so benutzen fast nur sogenannte „Esoteriker“ und extrem religiöse Menschen das Wort „Seele“, und sie meinen damit das Mystische, Unbekannte oder Überirdische unserer Existenz. Da auch einige Psychotherapeuten im Kern esoterischen Gedanken nachgehen, nutzen sie den Begriff zum Teil ebenso.
Der moderne Mensch wird diesen Begriff kaum noch akzeptieren. Ein Teil unsere „Psyche“ sind die Gravuren, die uns die Evolution mitgegeben hat, der Rest besteht aus individueller Vererbung und dem Lernen anhand der Situationen, in denen wir uns wiederfanden.
In einem Leserkommentar fand ich die Zeile:
(Diese Männer) suchen … nämlich Menschen … die statt Schönheit die Fähigkeit besitzen, ihre Seele zu berühren.
Üblicherweise werden die sogenannten „seelischen“ Empfindungen dadurch wachgerufen, dass wir das Denken weitgehend ausschalten und uns auf den „inneren Kern“ unserer Empfindungen konzentrieren. Das kann durch Meditation, Gebet, Fasten, Kasteiung oder auch nur durch innere und äußere Ruhe bewirkt werden. Auch viele Psychotherapeuten versuchen, diesen Zustand bei ihren Klienten hervorzurufen.
Der Weg zum „inneren Selbst“ im geschützten Raum
Wer sich jemals in so ein Experiment begeben hat, weiß: Man gibt den Schutz auf, den man sich üblicherweise auferlegt, und verfällt also in einen Zustand der Schutzlosigkeit. In diesem Moment ist es möglich, sehr tief liegende Gefühle „zu berühren“, also wachzurufen.
Ist man nun tatsächlich in einer „Schutzzone“, also beispielsweise in der Praxis eines Psychotherapeuten oder einer Selbsthilfegruppe, so kann man daraus Erkenntnisse über sich selbst gewinnen.
Manipulation oder Hilfe durch seelische Berührung?
So weit, so gut. Und was passiert, wenn man sich nicht in einer solchen Schutzzone befindet, sondern der Manipulation einer Person ausgesetzt wird?
Wir wissen recht gut, dass die gleichen Methoden, die der gutwillige Psychotherapeut einsetzt, auch von böswilligen Menschen eingesetzt werden können, die „unsere Seele berühren“ wollen, um Vorteile daraus zu gewinnen. Dabei kann es um Macht, Einfluss oder Geld gehen. Manchmal wird auf diese Weise ein absurdes Vertrauen aufgebaut, mal wird Sex ergaunert und mal wird gar dafür gesorgt, dass die Gesinnung gewechselt wird.
Mag „die eigene Seele berühren zu können“ eine gute Eigenschaft sein, so ist die „Berührung der Seele durch einen anderen“ eine Frage des Vertrauens in den anderen. Warum sollte ein Fremder (eine Fremde) Ihre (oder meine) Seele berühren wollen? Aus Gutherzigkeit? Ich bezweifle dies, denn in diesem Sinne eine Seele zu berühren, ist ein sehr intensiver, anstrengender Prozess. Menschen lassen sich üblicherweise dafür bezahlen, weil es auch Teile ihrer „seelischen“ Substanz abträgt.
Die Frage, was an einer „Berührung der Seele“ eigentlich „echt“ ist und was lediglich ein Kunstgriff ist, kann wohl niemals endgültig geklärt werden. Tatsache ist, dass es sich dabei um Extrakte aus Kommunikationstechniken, Liebe, Verständnis, Zuneigung, Sinnlichkeit und Sexualität handeln kann, je nach Einsatzzweck. Und mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit ist es nicht „echt“, sondern Teil eines Spiels, das aus guten und bösen Gründen geführt werden kann.