Sich etwas verbieten oder erlauben?
Als ich mich 1962 zum ersten Mal mit der Oper „Mahagonny“ auseinandersetzte (anlässlich der Philips-TWEN Veröffentlichung) wusste ich werde mit Weill noch mit Brecht etwas anzufangen. Aber ich wunderte mich bereits darüber, welche Moral dahinter stecken könnte. Sicher ist es nicht richtig, wenn man „alles dürfen darf“, aber das Gegenteil, nämlich dass alles verboten ist, was man gerne hätte, ist eben auch nicht gut. Damals war es eher so, dass die Jugend nichts zu wollen hatte und deswegen auch nicht das Geringste „dürfen durfte“.
Ich hörte und sah „Mahagonny“ jetzt hier im Theater (ja, wir haben eines) in einer tollen Aufführung, und wieder war viel von Brecht die Rede, und warum das Thema immer noch extrem aktuell ist. Ich bemerke mal nur am Rande, dass die Oper auch von Weill ist – und der konnte komponieren, dass die Linde rauscht. Indessen soll das Libretto betroffen machen … einerseits, weil es von Brecht ist, und andererseits, weil es angeblich „gerade jetzt wieder“ aktuell ist.
Und da dachte ich an Sie – und daran, dass sie zwar fast alles dürfen dürfen, aber nicht alles wollen mögen. Mit andren Worten: Der Lebensgenuss ist Ihnen (anders als damals) nicht verwehrt, egal, ob Sie ledig, verheiratet oder verwitwet, Frau oder Mann, Hetero oder Homo sind.
Und nun ist die Frage nicht mehr „was ist erlaubt, und falls es verboten sein sollte, wie bekomme ich es dennoch?“ sondern „was erlaube ich mir, und wenn ich Hemmungen habe, wie überwinde sich sie dann?“
Ich weiß, dass viele von Ihnen sich mehr verbieten als erlauben. Oder die Genüsse wohl begierig bedenken, die ihnen Jugend, Schönheit und Gesundheit in den Schoß fallen lässt, aber sie dennoch verschieben.
Die Genüsse der Liebe, der Sinnlichkeit und der Lust sind nicht in jedem Lebensalter gleich. Und sie lassen sich deshalb nicht beliebig verschieben. Die Phase, in der sich die jugendliche Unbekümmertheit mit wollüstigem Genuss paart, ist heftig, aber kurz. In anderen Lebensphasen sind wir entweder zu streng mit uns selbst oder wir schämen uns, das lustvolle Tier ind und von der Kette zu lassen. Und manchmal plagt uns die nachlassende Gesundheit, die uns nicht mehr für alle Genüsse empfänglich macht.
Na schön – aber das heißt nicht, dass wir uns alles verbieten müssen. Wenn wir uns selbst sagen: „Das darf ich alles dürfen“, und wir jemanden finden, der unsere Lust stillen könnte und unsere Bedürfnisse erfüllen mag, dann ist dies so natürlich, dass ein „Nein“ unsererseits an Selbstverleugnung grenzt.
Was meinen Sie?