Die Frau gegenüber dem Mann: willig oder herausfordernd?
Wenn wir den Klischees vieler Frauenzeitschriften, Frauenforen und andern auf weibliches Publikum ausgerichteten Publikationen glauben, dann sind Männer in der Liebe herausfordernd und unverfroren. Und wenn wir das verinnerlichen, dann glauben wir auch, dass Frauen aus dieser Sicht im Grund genommen willig und unterwürfig sein müssten. Andernfalls würden sie selbst eine aktivere Haltung zu ihrer Sexualität einnehmen.Im Grunde fragen sich viele Frauen: „Wie muss ich sein, um einem Mann zu gefallen?“ Was muss ich zum Date tragen, wie viel Haut darf sichtbar sein? Auf welche Themen muss ich mich vorbereiten, und welche sollte ich meiden? Bei welchem Date muss ich mich entscheiden, mit ihm zu schlafen? Darf ich ihm überhaupt zeigen, dass ich ihn will, oder muss ich ein paar Hürden aufbauen?
Wahrscheinlich würden sogenannte Evolutionspsychologen nun sagen: Ja, sehen Sie, das ist ganz natürlich für eine Frau, sich so zu verhalten.“ Doch sind es tatsächlich nur die Eierstöcke, die bestimmen, wie Frauen bei einem Date vorzugehen haben? Oder sind es eben doch die über lange Jahrzehnte tradierten bürgerlichen Klischees, die Frauen heute noch sagen, was eine „anständige Frau“ zu tun hat, damit „die Leute“ nicht über sie reden?
Die Verliererin – die passive Frau, deren Inneres etwas anderes will
Und die Männer? Wollen sie wirklich die „passive“, Frau, deren Inneres begierig nach Liebe dürstet und deren brodelnde Sexualbotenstoffe mit Wohlanstand gedeckelt werden müssen? Gut – das gibt den Männern das Gefühl, nun als Verführer auftreten zu müssen, was einigen Männern durchaus entgegenkommt, um ihr Ego aufzupolieren. Aber nicht so gut, dass es eine Art Affentheater auslöst, weil sie zugleich als schwanzgesteuerte Verführer beschimpft werden, wenn sie es tun. Und – werden sie diese Frau heiraten, die sich selbst und andere über ihre wahren Absichten betrügt?
Heiratspläne? Dazu gehört mehr als sich bei der Lust zu verstellen
Vielleicht wird der Mann sie heiraten – aber dazu bedarf es mehr als ein bisschen gespielter Zurückhaltung. Dazu müssen Pläne geschmiedet, Szenarien aufgebaut und Strategien entwickelt werden. Und bitte – dazu müssen auch Ressourcen vorhanden sein, die solches Handeln tragfähig machen. Mit anderen Worten: Die Frau muss es wert sein, dass sich der Mann um sie bemüht -udn zwar aus seiner Sicht, nicht aus ihrer.
Was, wenn dies nicht der Fall ist? Dann kommt die Frau, die sich künstlich zurückhält, über einige gescheiterte Dates und ein paar „versehentliche“ ONS nicht hinaus. Nur begreifen diese Frauen oft nicht, dass genau dies die Konsequenz der Verlogenheit ist.
Das Gegenteil vom „Mainstream-Verhalten“ ist auch keine Lösung
Allerdings – die konträre Strategie – „ich weiß, was ich will, und ich rede darüber“ kann ebenfalls schief gehen. Mancher Mann fühlt sich dann in seiner „männlichen Ehre“ verletzt und manch anderem kommt plötzlich der Satz: „Wenn sie es gleich tut, ist sie eine Schlampe“, in den Sinn. Womit klar wäre: Auch Männer leben in Klischees, und auch bei ihnen sorgen zahllose Autoren dafür, dass es so bleibt.
Die Lösung, selbstbewusst eigene sexuelle Ziele beim Date zu verfolgen und dennoch in der Kategorie „ehrbare Frau“ zu bleiben, ist einfach. Sie wird wahrscheinlich in diesem Moment irgendwo praktiziert. Dazu muss die Frau nur vorgeben, sie wolle eigentlich gar nichts Konkretes, um dann mit Charme und Geschick dafür zu sorgen, dass der Mann sie verführt. Dann bleiben die Rollenklischees erhalten, beide sind am Ende zufrieden: Das Ziel wurde erreicht, der Status nicht infrage gestellt. Fragt sich, ob das wirklich so sein muss und wie gerne die betreffenden Frauen sich auf dieses Spiel einlassen.
Ganz normal? Ja, aber nur ohne Klischees
Ja, sicher: manche Paare kommen „ganz normal“ zusammen, gehen ganz normal zu Dates, sind unglaublich interessiert an der Person des Anderen und gehen dann entweder miteinander ins Bett oder auch nicht, weil es sich so ergibt. Aber diese Frauen und Männer sind gar nicht gemeint, weil sie keinen Klischees anhängen. Und es wäre ja auch so schrecklich langweilig, über sie zu schreiben. Und dennoch – so viel verrate ich Ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken – für sie schlägt mein Herz. Und für die anderen empfinde ich bisweilen eine gewisse Verachtung.
Bild: Nach einer Illustration aus „Comtesse Sofia“ (ca. 1921)