Offener Brief an Jana Seelig – Liebeskummer lohnt nicht
Liebe Jana Seelig,
Wer einen offenen Brief schreibt, sollte einen guten Grund haben. Mein Grund ist: Ich halte das, was Sie geschrieben haben, für bedenklich und sehe zugleich eine Gefahr für andere darin.
Herz und Schmerz scheinen ja nach wie vor zu einer verkitschten Frauenkultur zu gehören. Und ihre Aussage „Ach, wenn dir das Herz gebrochen wird“ passt offenbar genau in das Schema. Und dann liegt es da, das kleine Herz „zersplittert in tausend kleine Scherben“. Ein Fall für den Kardiologen? Oder brauchen Ihre Leserinnen nun einen Alleskleber? Oh nein, der würde nichts nützen, denn „wenn man alle Scherben sammeln und zusammenkleben würde, so wäre es doch ein anderes Herz“.
Ich habe nachgezählt, und ich fand 14 Mal das Wort Herz und acht Mal das Wort „Schmerz“ – das kriegen selbst manche Schnulzenkönige nicht hin. Und ich frage mich, ob diese Kitschkultur der richtige Weg ist, um das Thema, das Sie berühren, wirklich zu würdigen. Denn „Liebeskummer“, besser wohl „Trennungsschmerz“ ist ohne Zweifel ein Gefühl, über das sich zu sprechen lohnt. Und es ist richtig zu sagen: Es gibt immer einen Neuanfang. Nur glaube ich nicht, dass Sie einen gangbaren Weg vorschlagen, vor allem dann nicht, wenn sie theatralisch werden. (Zitat)
In jedem Liebeskummer liegt die Chance, zu reifen – aber eben nur, wenn man sich diese Chance gibt, und eben nicht davonläuft vor dem Schmerz, sondern ihn bewusst erlebt, ihn auslebt, sich von ihm einhüllen, einen Teil von sich selbst werden lässt und für eine Weile mit ihm lebt. Jeder Herzschmerz sorgt für eine Entwicklung in uns selbst, verändert uns, lässt uns zugrunde gehen und wieder wachsen.
Schmerz ist keine Perspektive
Wo, bitte schön, ist denn da die Perspektive für eine Änderung? Was nützt es Ihnen (oder Ihren Leserinnen), sich ständig aufs Neue den Schmerz zu Bewusstsein zu führen, ihn immer wieder zu erleben oder gar „auszuleben“? Und ist es nicht etwas tollkühn, wenn Sie Menschen raten, sich vom Schmerz „einhüllen“ zu lassen? Was ist denn damit gewonnen? Sie sagen: Der „Herzschmerz“ sorge für eine Entwicklung „in uns selbst“. Und das tut er ganz automatisch, ohne dass Sie dazu ihre positiven Kräfte bündeln und Ihr Leben neu ordnen? Und selbst, falls das bei Ihnen selbst so gewesen sein sollte: Glauben Sie, dass dies eine gute Idee für andere Menschen ist, sich dem Schmerz hinzugeben und auf Änderungen zu hoffen? Und – bitte: was wäre, wenn die Waage nun in Richtung „zugrunde gehen“ ausschlagen würde? Würde Ihr Rat dann immer noch gelten?
Ich vermute ohnehin, dass sie gar nicht „Liebeskummer“ meinen, sondern den Schmerz, verlassen worden zu sein. Trennungsschmerz ist aber nur ein Teil kleiner Teil unserer Gefühlswelt, und er eignet sich kaum dazu, etwas Neues aufzubauen. Vielmehr benötigen wir für das „Neue“ eine kleine Revision: Was sind unsere Fundamente und sind sie noch tragefähig? Wie bauen wir das neue Leben auf der Basis dieser Grundlagen neu auf? Wie gestalten wir die emotionalen Fenster und Mauern? Wie dekorieren wir das neue Zuhause für unser Wesen?
Das alles kostet viel Mühe – aber in eine positive Zukunft auf einem verlässlichen Fundament zu investieren lohnt sich.
Sie sagen: Liebeskummer sei lohnend. Ich widerspreche dem. Es mag sein, dass „Liebeskummer“ den Menschen eine vorübergehende Verzögerung oder Verlangsamung auferlegt, der eine Klärung einleiten kann. Aber dabei kommt nicht automatisch ein „Lohn“, also ein Gewinn heraus. Und der emotionale Schmerz? Er ist im Grunde nur ein Anzeichen dafür, dass in den Emotionen Unordnung herrscht. Und das, so denke ich, ist der deutlichste Hinweis darauf, dort aufzuräumen.
Ihr Gebhard Roese