Niemand ist „beziehungsunfähig“
Nein, lieber Kollege Michael Nast, ich neide dir deinen Erfolg nicht. Denn „Erfolg“ entsteht bei einem Sachbuch immer dann, wenn man zum richtigen Zeitpunkt einen zwar naheliegenden, aber ungewöhnlichen Gedanken niederschreibt. Und genau das hast du getan.
Und das war dann eben „Generation Beziehungsunfähig“, wobei beide Wörter angreifbar sind: Das weiß natürlich auch Michael Nast. Beides sind Schlagworte. „Generation“ wird seit langer Zeit von publicitygeilen Soziologen, Autoren und Journalisten als Schlagwort genutzt, um das Wort „Jugend“ zu vermeiden. Ich will hier an die „Generation Porno“ erinnern. Der Begriff verkaufte sich prächtig, und dahinter stand nichts als eine journalistische Erfindung. Übrigens: Keiner der Menschenverächter, die den Begriff „Generation Porno“ geprägt haben, hat sich jemals dafür entschuldigt.
Generationen werden immer wieder neu erfunden und Etikettiert
Nur mal nebenbei, ihr Hosen-und Rockbreitsitzer in der Soziologie: Auch die Generation „X“, „Y“ und „Z“ sind eure Kopfgeburten. Und seit man über die „Ypsilons“ nicht mehr so intensiv motzen kann, werden jetzt erste Anzeichen deutlich, die „Zets“ durch den Fleischwolf zu drehen.
Doch zurück zu Michael Nast und den Folgen seines Buches. Nehmen wir mal an, ich wäre Generation „Y“, würde mir das Etikett auch aufkleben und aus Blödheit annehmen, so etwas gäbe es tatsächlich. Dann würde mich schon interessieren, was man da so über „mich“ und „uns“ schreibt. Darauf beruht vermutlich der Erfolg.
Wer wirklich „beziehungsunfähig“ ist, hat nicht alle Murmeln im Sack
Fragt sich nur, warum diese Generation sich einreden lässt, „beziehungsunfähig“ zu sein. Wenn man die Fakten einmal knallhart festklopft und nicht auf das Rauschen bei FACEBOOK oder einem anderen völlig nichtssagenden Medium hört, dann ist man sich schnell darüber klar: Beziehungsunfähig ist jemand, der nicht alle Murmeln im Sack hat. Oder höflicher ausgedrückt: jemand, der eine auffällige psychische Störung hat, die sich in sozialen oder emotionalen Auffälligkeiten äußert.
Womit eigentlich schon klar wäre: einem gesunden Menschen oder gar einer Generation „Beziehungsunfähigkeit“ zu unterstellen, ist ein Bullshit-Ausdruck.
Immer nur gewinnen geht auf Dauer nicht
Ich bin als ehemals professioneller Problemlöser gewohnt, die Lösung nicht vor die Analyse zu stellen. Und ich erkenne fraglos die Tendenz, dass sich immer weniger Menschen zu einer festen Bindung entschließen. Allerdings erscheint mir wenig glaubwürdig, dass die Menschen „unfähig“ sind, sich zu binden. Ich erlaube mir daher die Annahme, dass einige (und sicher nicht alle) Menschen der heutigen Zeit keine Notwendigkeit fester (oder gar ehelicher) Bindungen empfinden. Vielmehr sehen sie, dass sie wirtschaftlich, sozial und emotional auch ohne feste Partnerschaft überleben können – jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Und natürlich binden sie sich trotz alledem: an Ihre Stadtteile und Städte, beispielsweise, an Eltern und Geschwister, an Freunde und Kameraden. Nur eben nicht an einen festen, beständigen Lebenspartner.
Hier zeigt sich in der Tat ein Problem: „Etwas aufzugeben, um etwas zu gewinnen“ kommt im Vokabular vieler Menschen gar nicht mehr vor. Denn zunächst, vielleicht bis 30 oder 35, kann man noch dazugewinnen, indem man „mehr einsackt“: Geld, Macht und Karriere einerseits, Geschlechtspartner oder Kumpel andererseits. Mit zunehmendem Lebensalter wird dergleichen schwieriger. Eine erfüllte Beziehung lässt sich im Grunde nur finden, wenn man zunächst zunächst auf einen Teil des gewohnten Lebens verzichtet, um erst später den Beziehungsgewinn einzustreichen.
Es gibt ein Leben außerhalb von FACEBOOK
Hinzu kommt noch etwas: Wer „nach außen lebt“ und angeblich „alles teilt, was ihn bewegt“, wie es der gegenwärtigen Jugend oft zugeschrieben wird (hieß es nicht auch einmal: Generation FACEBOOK?), der verleugnet den Rest seiner Existenz. Und dieser Rest ist es denn auch, der uns alle nach und nach einholt: das Unausgesprochene, das Heimliche, das Private, das Innere, das Feinsinnige.
Trends sind nach ein paar Jahren nur noch Schall und Rauch
Übrigens wird bei alldem vergessen, wie wenige Menschen tatsächlich dem entsprechen, was Soziologen, Autoren und Journalisten angeblich festgestellt haben wollen. Die „Vorreiter“ oder „Trendsetter“ sind mit all ihren Ideen schnell wieder vergessen – ich sage Ihnen das aus der Position eines Menschen, der schon den Aufstieg und Fall zahlloser Trends beobachten konnte. Was wirklich zählt, sind nicht Trends, sondern der Wille, das Lebensglück zu finden und bis ins Alter zu halten. Sehen Sie, wenn Sie schon „höchst individualistisch“ sein wollen, dann sie sie nicht „Generation Alphabet“, sondern nur eins: eine Person, die es in dieser Art kein weites Mal gibt.