Der Zauber um Matching und den „geheimen“ Elo-Score
Die Tüftler der Dating-Anbieter sitzen in noblen Büros oder in Hinterhofwohnungen, und sie behaupten, all unsere Geheimnisse zu kennen und daraus enorme Erkenntnisse zu gewinnen. In den Spitzen ihrer Arroganz behaupten sie sogar, dass sie unsere Persönlichkeit besser kennen würden als wir selbst. Das Schlimme zuerst: Ein Teil kennt unser Verhalten, so wie wir es im Internet präsentieren – und schließen daraus auch auf unsere wahre Persönlichkeit. Das Beunruhigende hernach: Persönlichkeitsprofile sind nicht so einfach zu erstellen, wie die Anbieter behaupten – das bedeutet: Sie sind zumeist fehlerhaft. Dennoch wird uns suggeriert, diese Profile könnten die Grundlage für die Partnersuche sein. Übrigens eine dreiste Behauptung, denn wirklich wissenschaftlich überprüfbare Matching-Kriterien existieren nicht. Und damit komme ich zum Fragwürdigsten: Der größte Teil der angeblichen „Geheimnisse“, die Dating-Firmen über uns „ermitteln“, sind Potemkinsche Dörfer – sie existieren nicht wirklich oder sind völlig irrelevant.
Algorithmus ist kein Zauberwort – sondern nur ein Verfahren
Sehen Sie, das Zauberwort, heißt „Algorithmus“. Schon, wenn der normale Bürger das Wort hört, überfällt ihn die Ehrfurcht: „Wissenschaft“ denkt er – und dazu komplizierte mathematische Formeln.
Gemach, gemach: Ein Algorithmus ist nichts „an sich“ Wissenschaftliches. Wird er für lösbare Probleme angewendet, oder kann wenigstens langfristig bei einem bislang ungelösten Problem eine Lösung erwartet werden, so ist der Algorithmus sinnvoll. Denn, und soweit zitiere ich mal, „bezeichnet der Algorithmus eine systematische, logische Regel oder Vorgehensweise, die zur Lösung eines vorliegenden Problems führt“. Wenn wir kein Problem haben, brauchen wir auch keine Algorithmen. Probleme werden ja so definiert, dass es sich dabei um Umstände handelt, zu denen uns gegenwärtig die Lösungen fehlen.
Wie löst man Probleme, die gar nicht existieren mit Methoden, die „geheim“ sind?
Was nun schon wieder heißt: Ein Problem lösen zu wollen, das nicht existiert, ist erstens unredlich und zweitens kann der Weg zur „Pseudo-Lösung“ dabei in die falsche Richtung führen.
Und: Wer behauptet, einen Algorithmus zu haben, der ja per Definition logisch sein muss, kann ihn auch offenlegen.
So, und nun kommen wie in die Küche der psychologischen Alchemie: Jeder, der angebliche einen Algorithmus hat, behauptet, er müsse ihn geheim halten. Wegen der bösen Konkurrenz, die den absolut nicht sehen darf. Nachfragen ergeben entweder, dass der Algorithmus auf „verschiedenen“ Faktoren beruhe, oder dass ein bestimmtes, angejahrtes Grundgerüst (1) verwendet werde, oder – besonders dreist – die Parametrisierung beruhe auf Erkenntnissen von Freud und Jung (2). Das wäre ungefähr so, als würde man einen hochklassigen Automobilhersteller nach den Geheimnissen seines neuen Motors befragen, und er würde sagen: „Oh, er beruht im wesentlichen auf den Erkenntnissen von Nicolaus August Otto.“ Jeder Wirtschaftsjournalist würde sich mit Recht verarscht fühlen.
Und worauf beruht das „Scoring“, der letzte Schrei der App-Dating-Anbieter? Was ist der Elo-Score, „Tinders geheimer Algorithmus“? Die Antwort kenne ich irgendwoher:
(Der Journalist Austin Carr) … schreibt (… nach Informationen von Tinder …), dieser Algorithmus basiere auf verschiedenen Faktoren, unter anderem wie umfangreich und mit wie vielen Informationen Nutzer ihr Profil gestaltet haben.
Womit klar wäre: Die Informationen, die verwendet wurden, sind völlig beliebig zusammengestellt, möglicherweise mit etwas „Allgemeinwissen“, vielleicht mit etwas Küchenpsychologie, oder aber einfach so, wie manche Lehrer ihre Schüler beurteilen: Wer fleißig war, bekommt ein „Bienchen (1)“.
Das Ganze wäre ja nicht so schlimm, wenn man dazu nicht „Algorithmus“ sagen würde. Dazu könnte man sagen:
Man baut auf Grundlagen, die keinen wissenschaftlichen Bestand haben, Formeln auf, die kein Ziel haben, um Probleme zu lösen, die gar nicht existieren.
Oh, ich kenne den Einwand, der jetzt kommt: „Natürlich kann als Problem definiert werden, keinen Partner zu finden, und selbstverständlich können Problemlösungsmethoden verwendet werden, die auch in Algorithmen eingebundene werden können.“
Na schön, Dating-Branche: Dann tretet mal schön den Beweis dafür an, dass diese mit euren Methoden funktioniert. Ich bin gespannt.
Ein kleines Nachwort: Online-Dating ist gut und richtig. Doch wer damit Erfolg haben will, sollte sich nicht an „Scores“, „Rankings“ oder Matchpunkten orientieren, sondern danach, was ihm sein Verstand und sein Gefühl sagen.
Unter Verwendung von:
Wikipedia , u.a. für die Elo-Zahl.
Süddeutsche Zeitung (Zitat Tinder)
Fastcompany (Ursprung des Tinder-Zitats)
(1) „Big Five“ oder Myers-Briggs.
(2) Urgestein der Psychotherapie und ähnlicher Verfahren – haben sich nicht mit „Matching“ beschäftigt.
(3) Belobigung von fleißigen Schülern im ostdeutschen Sprachgebrauch)