Warum schreibst du eigentlich keinen Liebes-Fortsetzungsroman?
Heute wäre mir beinahe die Kaffeetasse aus der Hand gefallen, und das wäre schade gewesen, weil es meine Lieblings-Kaffeetasse war. Denn heute sagte mir die Dame, die mir täglich beim Frühstück gegenübersitzt: „Warum schreibst du eigentlich keinen Liebes-Fortsetzungsroman für die Liebe Pur?“
Ja, warum eigentlich nicht? Ich will es ihnen erklären.
Über die Liebe gibt es gerade wenig zu schreiben. Sie wissen es, ich weiß es, und die Autorinnen und Autoren einschlägiger Triefaugenromane wissen es natürlich auch: „Die Liebe als Solche“ gibt als Thema nicht viel her. Nur mit kitschiger Gefühlssoße wird sie gerne aufgeschleckert.
Oh, ich habe inzwischen eine ausreichende Anzahl von Liebesromanen inspiziert, um zu wissen, was man baucht: Eine Heldin, die sympathisch, stark, intelligent und attraktiv ist (so las sich es jüngst in einem Internet-Beitrag), aber irgendwo einen wunden Punkt besitzt. Klar, das muss sie, denn sonst gibt es keine erregende Liebesgeschichte. Gut, dazu wird noch ein Held gebraucht. Zumeist ist er ebenfalls sympathisch und stark – aber aus einer anderen Lebensumgebung als die Heldin. Und auch er trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum, das schwer auf seinem Herzen liegt.
Wow! Einfach genial, nicht wahr? Und tausendfach strapaziert. Fehlen noch Neiderinnen, Nebenbuhler, äußere und innere Konflikte und eine Phase, in der das Glück sich versteckthält. Nicht zu vergessen (und auch hier aber ich mal wieder ein bisschen in die einschlägige Literatur gelinst) eine dicke, an der Grenze des Erträglichen aufgetragene Gefühlssoße, die über die Heldin geschüttet wird. Denn, so lese ich, Liebesromane würden von Gefühlen handeln – alles andere sei Beiwerk. Fragt sich natürlich, wie ein Roman „von Gefühlen handeln“ kann. Die drei Wörter sind in der Kombination ein Widerspruch in sich. Aber dazu müsste ich jetzt philosophisch werden – und dazu habe ich im Moment keine Lust. Ich versuche es einfacher: mit einer sehr knappen Analyse der Gefühlswelt.
Also: „Wer Liebesromane schreiben will, muss über Gefühle schreiben.“ Klingt logisch – ist aber totaler Blödsinn. Denn tatsächlich existierende Gefühle liegen im Hirn in Schichten, die Differenzierungen vom Autor verlangen – und dann wird die Sache sehr, sehr langatmig und äußert kompliziert. Nicht nur, weil die nicht in Sprache vorliegenden Inhalte der Schichten zunächst verbalisiert werden müssen. Der Autor müsste also jede Gefühlsregung jeder Schicht, die analog vorliegt, wieder digitalisieren. Und: Man müsste es in einer Weise tun, in der auch die Leserin jede dieser Schichten wieder „nachempfinden“ kann. Kurz und knapp: Man müsste ein schriftstellerisches Genie sein.
Also macht es der Autor eines Liebesromans anders: Er sortiert alle „tatsächlich existierenden“ Gefühle aus, bis auf die, die sich verkitschen lassen, also die plakativen Gefühle, die wir aus Schlagern kennen. Man könnte auch „Herz und Schmerz“ dazu sagen.
Was wäre, wenn der Autor tatsächliche Gefühle zulassen würde? Er wäre verloren, jedenfalls für den Liebesroman. Denn (wieder habe ich nachgelesen) es gehe dabei um „die große Liebe „und natürlich alles (allein dieser Satz ist totaler Kitsch), was uns im tiefsten Inneren berührt“.
Nun – wissen Sie, warum ich keinen Fortsetzungsroman über eine große Liebe schreiben kann? Weil die Liebe mit jedem dieser Romane auf eine Gefühlsduselei herabgewürdigt wird. Und ich sage das, obgleich auch ich gelegentlich der einen oder anderen einschlägigen Autorin auf den Leim krieche und feuchte Augen bekomme. Man könnte die Romane also wohl „Pornografie zur Stimulation der Tränendrüse“ nennen.
Ei, ei, harte Worte. Und, ach ja: Liebesromane haben immer ein Happy End. Logisch. Schneewittchen hat ja euch noch ihren Prinzen bekommen – und Dornröschen – und Aschenbrödel. Wäre ja wirklich schade, wenn sich Heldin und Held am Ende nicht kriegen würden, nicht wahr?
Nein, ich schreibe Ihnen keinen Liebes-Fortsetzungsroman. Dann warten Sie wahrscheinlich nur auf das Happy End – doch wer das Leben kennt, der weiß: das wahre Leben beginnt immer erst, wenn das Happy End vorbei ist.
Übrigens: der Dame, die mir beim Frühstück gegenüber sitzt, habe ich es kürzer erklärt.