36 Fragen, die Sie besser sofort vergessen sollten
Ich dachte ja, ich würde mal eine Woche ohne Dating-Blödsinn auskommen. Aber das Sommerloch verleitet unsere Damen und Herren Journalisten immer wieder dazu, ein paar Sprüche abzulassen, wie man ein Date gestaltet. Abgeschrieben natürlich – versteht sich von selbst, nicht wahr? Diesmal macht sich die ICON-Autorin Anika Kilian an ein Thema, das eigentlich gar keines ist: „Peinliche Gesprächspausen“.
Arthur Aron erfindet ein Spiel zum intimeren Kennenlernen
Und damit geht’s schon los. Ein gewisser Arthur Aron hatte sich ernsthaft Gedanken über seinen Fragekatalog zur Verbesserung und Vertiefung von Beziehungen gemacht. So skurril manche Fragen auch klingen mögen, sie hatten einen Sinn, allerdings nur dann, wenn man genau liest, was ursprünglich dazu geschrieben wurde. Denn der Psychologieprofessor hatte zunächst ganz andere, durchaus akzeptabel Vorstellungen von den „36 Fragen“, und wie sie gestellt werden sollten:
Arthur Aron erfand ein Spiel, das er das „Teilungsspiel“ nennt. Es handelt sich dabei um eine Maßnahme, die dazu beitragen soll, eine andere Person besser und intensiver kennenzulernen. Wählen Sie zwei Fragen aus der Liste aus und fragen sie ihren Kollegen oder Partner. Dann wir das verfahren umgedreht: Sie stellen ihnen dieselben Fragen. Hören Sie gut zu und versuchen Sie, den Partner nicht zu unterbrechen.
Schon diese Einführung hätte genügt, um festzustellen: Aha, es ist ein Spiel, und zwar eines, das zu gleichen, bekannten Regeln gespielt wird.
Aron wusste also, dass sich zwei Partner Zeit nehmen mussten, um dieses Spiel auszuführen, und er rechnete von vornherein damit, dass jede Antwort etwas Zeit zum Nachdenken erfordern würde. Auf diese Weise ließ sich das System aber nicht durch Unternehmensberater vermarkten, und so wurde daraus die „Fast Friends Procedure“.
Der Beschleunigungseffekt kommt hinzu: Die „Fast Friends Procedure“
Man könnte den Titel mit der Floskel übersetzen: Wie man Freundschaften beschleunigt“, wobei „Freundschaft“ hier auch dafür steht, einander bei der Teamarbeit besser zu verstehen. Wir erinnern uns. In den USA muss alles immer schnell und einfach sein, aber nicht unbedingt auch gründlich.
Letzter Stand: 36 Fragen zur Intimität
Aus der „Fast Friends Procedure“ wurden dann die „36 Questions for Intimacy“, auf die sich die ICON-Autorin bezieht. Die Zeit, die man sich nehmen sollte, um einige (nicht alle!) dieser Fragen zu beantworten, wird auf etwa 45 bis 60 Minuten geschätzt, und in namhaften Artikeln wird darauf hingewiesen, dass man sich nicht zwangsläufig an diese Fragen halten muss. In Wahrheit geht es ja auch gar nicht um die Fragen, sondern um die Möglichkeit, intimere Gedanken miteinander auszutauschen. Die Fragen sollen nur ein Hilfsmittel sein, um dorthin zu gelangen.
In dem ICON-Artikel heißt es freilich:
Die Theorie: 36 Fragen, eingeteilt in 3 Blöcke, müssen bei einem Date in der korrekten Reihenfolge gestellt werden.
„36 Fragen“ sind für Dates absolut ungeeignet
Was das mit Dates zu tun hat? Ganz viel und ganz wenig. Viel, weil sich Menschen bei einem Date ja nun wirklich näher kommen wollen und wenig, weil ein Date keine Veranstaltung der Inquisition ist, bei der man tief in das Intimleben anderer einzudringen wünscht. Und weil eigentlich klar ist, dass die Fragerei zum Date passt wie der Fisch aufs Fahrrad, wird von der Autorin im ICON nachgelegt: nämlich mit den „peinlichen Gesprächspausen“, die partout vermieden werden müssten.
Das herbeigeredete Problem: Gesprächspausen
Ich sag’s mal rundheraus: In Begegnungen, die dazu dienen, einander kennenzulernen, entstehen ganz selten „peinliche“ Gesprächspausen, es sei denn, beide wären Kommunikationsanalphabeten oder hätten generelle psychische Schwierigkeiten, mit anderen Menschen umzugehen. Und sollte dies so sein, dann helfen auch die 36 Fragen nicht. Auch das stört die Autorin des Zeitgeist-Magazins aus dem Hause Springer (ICON) nicht, denn …
Ein Großteil der (36!) Fragen ist tatsächlich perfekt, um charmant die nächsten Schweigeminuten zu überbrücken. Wenn man sich dabei noch näher kommt, umso besser.
Ich erinnere noch mal an diesen Satz:
„36 Fragen, eingeteilt in 3 Blöcke, müssen bei einem Date in der korrekten Reihenfolge gestellt werden.“
Drei Mal ans Sterben erinnert werden beim Date?
Und dies auch dann, wenn sie wahrhaftig dümmlich klingen mögen, wenn man sich sich innerhalb eines Dates vorstellt. Beispielsweise wäre die auf Position sieben zu stellende Frage: „Hast du eine Vorahnung, auf welche Weise du sterben wirst?“ Man wundert sich, reibt sich die Augen und zweifelt ein wenig daran, dass die Autorin wirklich meint, was sie schreibt. Das „Sterben“ kommt übrigens in den 36 Fragen noch drei Mal vor – infrage 19 und 33 noch einmal in Varianten.
Manche Fragen sind eine Provokation – bewusst
Für fast alle der 36 Fragen gilt, dass sei einen gewissen provokativen Charakter haben (was anlässlich der Vorgabe verständlich ist). Viele der Fragen lassen dem Antwortenden wenig Spielraum und manche haben sogar ausgesprochen inquisitorischen Charakter. Ich will nicht gerade behaupten, dass es sich um Verhörmethoden handelt, weil ich den Hintergrund kenne – aber innerhalb eines Dates, einseitig gestellt und außerhalb des Spiels wirken sie tatsächlich so.
Pro Frage (und Antwort) nur 38 Sekunden?
Was eigentlich stutzig machen sollte, aber offenbar von kaum jemandem beachtet wird. Wie kann man bitte 36 sogenannte offene Fragen wechselseitig (dann sind es 72) innerhalb der angeblich vorgeschriebenen 45 Minuten stellen und ausführlich sinnvoll und dabei noch sehr intim beantworten? Dann bleiben für Frage und Antwort noch ganze 38 Sekunden.
Keine Inquisition, sondern ein dynamischer Gesprächsfluss
Erstens: Vergessen Sie alle 36 Fragen. Die meisten kommen viel zu früh. Denn ob sich aus der Begegnung überhaupt ein intensives Interesse am anderen entwickelt, steht zu Beginn eines Dates noch gar nicht fest. Und und auch mit „ganz gewöhnlichen“ (und weitaus natürlicheren) Kommunikationsmethoden können Partnersuchende den Grad der Intimität anheben oder absenken.
Fünf gute Tipps für Dating-Gespräche – ohne Regeln
Hier sind fünf wirklich gute Tipps, um Fragen zu stellen, und fünf Probleme, die dabei auftauchen könnten.
1. Ja! Offene Fragen verwenden. Die Besten beginnen mit „Was“, dann kann man mit „Wie“ weiter einschränken, wenn der Partner langatmig antwortet.
2. Nein! Nicht „psychologisch“ fragen, sondern wirklich offen. Nummer 24 des Beispiels klingt „offen“, ist aber als Frage ein Eingriff in die familiäre Intimsphäre: „Wie ist das Verhältnis zu deiner Mutter?“
3. Ja! Wenn Sie fragen, sollten sich diese Fragen auf die Gegenwart oder die Zukunft beziehen.
4. Nein! Stellen Sie wenig Fragen zur Vergangenheit.
5. Ja! Stellen Sie viele Fragen zum Jetzt. Was macht du beruflich? Wofür interessierst du dich?
6. Nein! Vermeiden Sie Fragen, die ihren Partner dazu zwingen, Ihnen auszuweichen. („Vervollständige den Satz …“, „nenne mir“).
7. Ja! Lenken Sie Gespräche auf natürliche Art, nicht mit Willkürmethoden. Aktives Zuhören und Paraphrasieren helfen Ihnen dabei.
8. Nein! Stellen Sie wenig geschlossene Fragen (bist du glücklich?). Diese sind dafür reserviert, wenn Sie etwas präzisieren wollen.
9. Ja! Hören Sie gut zu, achten Sie auf Zwischentöne und verlieren Sie nicht den Faden in der Gesprächsführung.
10. Nein! Vermeiden Sie Alternativfragen. Die sind zwar in den 36 nicht direkt enthalten, kommen aber in der Praxis oft vor. („Wenn du die Chance hättest, dein leben noch mal zu leben, würdest du es ändern oder so belassen?“
Wenn Sie anderer Meinung sein sollten: Hier ist Ihr Platz, das Thema zu diskutieren.