Die Dating-Branche kriselt – gibt es Parallelen zu den Ehevermittlungen?
Einstmals gab es eine blühende Branche: Ehevermittler. Sie lebte zunächst von den nach Zehntausenden zählenden allein lebenden oder verwitweten Frauen, die sich der Hoffnung hingaben, trotz schwierigster Bedingungen noch einen Partner zu finden. Doch schon bald zeigte sich: Das moderne Leben war komplizierter, als man sich dies vorstellen konnte. Und so kam es, dass jeder, der ein bisschen mutlos geworden war, bei der erfolglosen „öffentlichen“ Partnersuche manchmal zu einem Ehevermittler ging. Mittlerweile hatte man sich umbekannt: auf Partnervermittlung. Alles mit streng seriöser Fassade und sehr ehrenhaft – soweit es darum ging, was nahe der Lenden passierte. Was und wer sich jedoch in den Karteiblättern und späteren Dateien befand, darüber schwieg man aus gutem Grund: Partnervermittlung ist ein Geschäft, in dem sehr viel über unerfüllbare Wünsche und überzogene Hoffnungen läuft.
Der Niedergang der Ehevermittler: Angebot und Nachfrage drifteten auseinander
Der Niedergang der Branche wurde stets auf das Internet zurückgeführt – das ist jedenfalls die offizielle Lesart. Doch der eigentliche Grund war ein ganz anderer: Enorm hohen Preisen standen relativ dürftige Leistungen gegenüber. Das sprach sicher herum – und wer sich traute, wich auf andere Wege aus. Anzeigen in bestimmten Zeitungen galten als sehr Erfolg versprechend, und dann war da sicher auch noch das Internet. Es gab andere Gründe für den Niedergang, zum Beispiel das schlechte Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage – was nachgefragt wurde, war kaum im Angebot, was im Angebot war, wurde so gut wie nicht nachgefragt. Online-Dating schien zunächst ein Ausweg zu sein, und in der Tat blühte die Branche: Sowohl wirtschaftlicher Erfolg wir auch die Anzahl der vermittelten Partner schienen dem neuen Medium recht zu geben.
Worauf wird man in Zukunft den Niedergang von Online-Dating zurückführen?
In ein paar Jahren, so prognostiziere ich, wir man das schnelle Smartphone-Dating für den Niedergang der einstmals boomenden Online-Dating-Branche verantwortlich machen. Wie auch bei den alten Partnervermittlern werden einige Firmen übrig bleiben, die bei relativ hohen Preisen relativ wenig Service bieten, aber wenigstens über ein respektables Angebot verfügen. Andere Firmen werden sich mit mehr oder weniger Erfolg auf die Märkte stürzen, bei denen die Liebe überwiegend in den Lenden liegt. Manche werden das rote Licht oder die schwarzen Dessous bereits in der Werbung verwenden, andere werden fröhliche junge Leute zeigen, die weltoffen mit der Liebe umgehen. Auch bei ihnen wird auf Dauer nur der Markt entscheiden, was angenommen wird und was nicht, was lediglich Spielerei ist und was zu kurzen Begegnungen führt, und wo es noch Chancen für langfristige Beziehungen gibt.
Beschleunigter Sex – entschleunigte Partnersuche
Typisch für die heutige Zeit ist die Diskrepanz zwischen unendlicher Beschleunigung von Begegnungen und dem schwierigen und dornenreichen Aufbau langfristiger Beziehungen. Überspitzt ausgedrückt: zwischen jenen, die schnell und unkompliziert herumvögeln wollen und jenen, die sich überlegt an eine dauerhafte Beziehung herantasten wollen. Insofern verwundert kaum, dass es auf der einen Seite das Smartphone mit Verortung der Partner gibt und auf der anderen Seite die übrig gebliebenen Online-Partnervermittler. Dazwischen bewegen sich die angejahrten Singlebörsen: Sie werden immer mehr zu Hybrid-Vehikeln für schnellen Sex und mittelfristige Beziehungen.
Gibt es Parallelen zwischen dem Niedergang der „alten“ Partnervermittler und dem Internet beziehungsweise zwischen dem schleichenden Niedergang der Internet-Singlebörsen zugunsten der Schnell-Kontakte via Smartphone?
Ja und nein. Internet-Dating begann einmal so, wie heute Smartphone-Dating funktioniert: Die Erfolgreichen und Schönen ins Töpfchen, die Luschen und Hässlichen ins Kröpfchen, auch „Hot or Not“ genannt. Keine klaren Absichten, keine genaue Ausrichtung, überwiegend Spielerei. Als der Spaß einmal vorbei war, entwickelten Firmen mit äußerem Ernst und innerem Grinsen kompliziert erscheinende, angeblich wissenschaftlich überprüfbare Kriterien zur Partnersuche und Partnerwahl. Damit war der lukrative Markt gefunden, und dieser Markt funktioniert bis heute weltweit, wenngleich mit Abstrichen, weil die Werbungskosten immens gestiegen sind.
Nicht Smartphone-Dating folgen – sich auf die Zeit danach vorbereiten?
Wenn die neuen Spaß-Applikationen einmal ausgereizt sind, wird etwas Neues nötig sein. Im Grunde wäre es richtig, sich bereits heute auf die Nach-Tinder-Zeit vorzubereiten. Doch niemand weiß, wie diese Zeit aussehen wir – und deshalb wird wenig in die „Platzhirsche“ oder in Neugründungen investiert.
Sicher scheint nur eines zu sein: Gevögelt wird immer, also wird es immer Applikationen für schnellen Sex geben. Und die Sehnsucht nach einem festen Partner gibt es auch immer. Also wird es immer „ernsthafte“ Partnersuchende geben. Dazwischen allerdings liegt der Graubereich der unerfüllbaren Sehnsüchte, Hoffnungen und Erwartungen – und es ist zu befürchten, dass an ihnen mehr verdient wird als an jenen, die wissen was sie wollen und erreichen können.