Warum wir so viel über die Liebe reden
Erinnern Sie sich noch? Früher schrieb ich montags immer einen scharfen, satirischen Artikel unter dem Titel „Tacheles“. Es wird wieder einmal Zeit dafür. Denn immer häufiger lügt man Ihnen die Hucke darüber voll, was „Liebe“ ist.
Die Reihe der Bücher über die Liebe reißt nicht ab. Die weiblichen Heulbojen dröhnen uns die Ohren voll mit ihren „herzzerreißenden“ Liedern, während uns Kuschelmänner immer häufiger ihre unqualifiziert dargebotene Pseudophilosophien um die Ohren hauen. Von der Literatur, die das weibliche Geschlecht mehrheitlich einatmet, will ich gar nicht reden. Kurz: Jeder scheißt uns mit Liebesmüll zu – und ein Teil von uns findet Gefallen daran. Ja, sicher – Millionen Fliegen können nicht irren. Sie ernähren sich von kulturellen Ausscheidungen. Die Quadratur des Kreises – Liebe erklären Andererseits reden die Menschen von der Liebe, als wüssten sie ganz sicher, was sie bedeutet. Erst kürzlich haben sogenannte Forscher in ihrer berufseigenen Einfalt die Begriffe „Sex“ und „Liebe“ missbraucht, um ihrer zweifelhaften Tätigkeit nachzugehen. Wir könnten uns natürlich auch ernsthaft fragen, was dahintersteht, so viel Romantik, Kitsch und Liebesgewäsch zu tanken. Ich würde sogar Antworten darauf finden. Beispielsweise, die Quadratur des Kreises zu versuchen (ich habe es mal als Grundschüler versucht: Katastrophale Note.) Oder ein Problem dritter Ordnung (1) zu lösen: Geht nicht, wird trotzdem immer wieder versucht – dankenswerterweise nicht von mir. Erklärbar – Geschwätz statt Gespräch über „die Liebe“ Falls Sie, der/die Sie dies lesen, im Übermaß gebildet sein sollten: Sie können die schwierige oder gar unmögliche Kommunikation über die Liebe auf einen fehlenden, gemeinsamen digitalen Zeichenvorrat zurückführen. Das hieße dann auf Klardeutsch: Es ist kompliziert, darüber zu reden, weil Gefühle unser „Eigentum“ im wahrsten Sinne des Wortes sind: „Eigentum“, also das eigentümliche in uns, ist schwer teilbar. Sollten Sie gut aufgepasst haben im Deutschunterricht, so haben Sie sicherlich gehört, dass unsere Premium-Dichter der gleichen Meinung waren: „Redet sie Seele, so redet die Seele nicht mehr.“ Das heißt auf kybernetisch: Die Analog-Digitalübersetzung versagt beim Menschen, wenn er über seine persönlichen Gefühlen spricht. Merkwürdigerweise können wir über die Gefühle anderer sprechen –weil wir nur das wiedergeben, was diese ohnehin deutlich zeigen. Nachplappern könnet man das nennen. Liebe – da steht doch mehr dahinter? Sie meinen, es stünde noch wesentlich mehr dahinter? Sollten Sie keine Märchentante, Schlagersängerin oder Esoterikerin sein, dann haben Sie absolut recht. Tatsächlich versuchen Menschen, namentlich in bestimmten Kulturen und sicher mehr Frauen als Männer, das schwer Erklärliche so lange zu ventilieren, bis sich ein Hauch von Erkenntnis ergibt. Er liegt dann nicht im Wort, sondern eher „hinter den Sätzen“. Wir denken: „Oh ja, so könnte so sein – vielleicht sogar für mich.“ Ich kann Ihnen ungefähr sagen, woran das liegt: Aus einem Gewebe vieler Worte, die Sie möglicherweise nicht einmal verstanden oder überhört haben, ist in Ihrem Kopf ein Bild entstanden. Bilder werden andere transportiert als Worte, denn Bilder stehen nicht digital. (2) Womit wir den Bogen geschlossen haben: Wenn Sie nicht den reinen Kitsch lesen und hören und nicht nur in Klischees sprechen, dann haben Sie tatsächlich eine Chance, etwas über die Liebe zu lernen. Kitsch zum darin suhlen? Und natürlich können, dürfen und sollen Sie sich manchmal in Kitsch mit Himbeersoße suhlen. Das ist kostenfreie Psychopharmaka fürs Gemüt. Aber bitte – beachten Sie die Risiken und Nebenwirkungen. Und wo bleibt IHR Widerspruch? (1) Probleme dritter Ordnung sind Probleme, die weder durch mehr Anstrengungen noch durch alternative Möglichkeiten zu lösen sind. (2) Im Gegensatz zur „landläufigen“ Meinung heißt „digital“ „in Zeichen“. Bilder stehen aber analog, weil ihre einzelnen Zeichen nicht (mehr) erkennbar sind.