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Keiner weiß, was Charakter ist

Die alten Griechen hatten es leicht: Sie ordneten den menschlichen Charakter den „Elementen“ der damaligen Zeit zu und fanden vier grundlegende Charakterzüge. Während der bürgerlichen Epoche wurde auch die Bedeutung des Wortes „Charakter“ dem neuen Selbstverständnis angepasst. Gegen 1890 galt, dass es sich beim Charakter um …

die dauernde, selbst erworbene Eigentümlichkeit des gesamten Wollens (und Thuns) einer gewissen Persönlichkeit … (handele) (1)

.

Dabei wurde der Charakter relativ scharf vom „Naturell“ (der „Veranlagung“) oder dem „Temperament“ (der „Grundstimmung“ eines Menschen) abgetrennt, um dem Erziehungscharakter Ausdruck zu verleihen.

Seit sich die Psychologie des menschlichen Charakters bemächtigt hat, haben die Definitionen mehrfach gewechselt. Statt des Charakters spricht man nunmehr von der Persönlichkeit und ihren Merkmalen, steht aber wieder vor der Frage, welche Merkmale man eigentlich als Grundlage nehmen will. Entgegen jeder Vernunft hat der umstrittene Psychoanalytiker Carl Gustav Jung die Introversion und die Extraversion als Hauptgegensätze festgelegt, auf denen sich alle anderen Charaktermerkmale aufsetzen lassen, wenn man Denken, Fühlen, Empfinden und Intuition damit kombiniert.

Obgleich niemand jemals einen Beweis dafür fand, dass Introversion und die Extraversion die Hauptgegensätze sind, auf denen das Menschsein aufbaut, wurde diese Annahme in so gut wie alle modernen Persönlichkeitsbewertungen integriert. Vor allem in die Bekanntesten, den Myers-Briggs-Typenindikator und in die berühmten „Big Five“, auch als „Fünffaktorenmodell“ bekannt. Obwohl absolut nicht erkennbar ist, warum das verbindliche Menschenbild der Psychologie auf Extraversion und Introversion beruhen soll, steht dieser Begriff stets im Vordergrund.

Aus der bürgerlichen Zeit hat man die „Big Five“ die „gefestigte“ beziehungsweise flatterhafte Persönlichkeit übernommen, die nun als „Neurotizismus“ bezeichnet wird, während die dritte Hauptkomponente nun „Offenheit“ genannt wird. Hinzu kommen noch Verträglichkeit und Rigidität (Gewissenhaftigkeit).

Auch Myers-Briggs setzen das Menschenbild der Extraversion-Intraversion an erste Stelle, arbeiten dann aber eher mit „klassischen“ Gegensätzen wie etwas „Denken und Fühlen“. Neben „Denken oder Fühlen“, gibt es nun aber weitere Komponenten, nämlich „Bewerten oder Beobachten“ und „Intuitiv sein oder sich auf Sinneseindrücke verlassen“.

Dabei ergibt sich die Kernfrage, ob es sich dabei um verlässliche Menschenbilder handelt, und ob die gefundenen Eigenschaften wirklich für das Menschenleben bestimmend sind.

Ich gebe Ihnen zwei Argumente, die gegen alle genannten Theorien sprechen:

1. Setzen Sie im vorgenannten Kapital einfach ein „und“ statt eines „oder“ ein, dann bemerken Sie, dass es sich bei den Merkmalen gar nicht um Gegensätze handelt. Ein Tüftler, der seine Produkte selbst vermarktet, ist nicht „extravertiert ODER introvertiert“, sonder mal das Eine, mal das Andere. Denken und Fühlen sind ohnehin keine Gegensätze, sie durchdringen vielmehr einander, und ebenso verhält es sich mit „Bewerten und Beobachten“ – der kluge Entscheider bewertet erst, und beurteilt dann. In gleicher Wiese werden im Alltag mal Intuition und mal Kenntnisse nötig sind, um Situationen zu meistern.
2. Ein zweites Problem sind Begriffsinhalte. Hinter den Fremdwörtern wie „Extraversion“ oder „Neurotizismus“ stehen ja konkretere Regungen, also beispielsweise, wie sich Extraversion äußert. Der extravertierte (außen orientierte) Mensch ist zwar kontaktfreudiger, aber deshalb nicht notwendigerweise verbindlicher in seinen Kontakten. Wie aber soll man dies verbindlich ausdrücken? Und was ist nun sinnvoller in einer Beziehung?

Ich will heute zum Ende kommen: Kein Wissenschaftler kann uns verbindlich erklären, welche Charakter- oder Persönlichkeitsmerkmale wie, wann und wo wichtig sind, aber dennoch wird ein Wertesystem angelegt, das Prioritäten festlegt. Stimmt Sie das nicht nachdenklich? In einer Paarbeziehung sind beispielsweise täglich kleine und große Probleme zu lösen. Eigenschaften wie Urteilsvermögen, Einsicht, Problemlösungskompetenz, Kompromissbereitschaft und nicht zuletzt viel Humor sind Tag für Tag gefragt. Doch, was wird psychologisch angeboten? Der Unterschied zwischen Extraversion und Introversion? Da lachen doch, Pardon, die Hühner.

(1) Meyers Konversations-Lexikon.

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